Sven Hergerts steht am Fahrbahnrand und blickt konzentriert auf die vorbeirauschenden Autos. Es wirkt fast so, als würde er auf einen bestimmten Augenblick warten. So wie Menschen, die an einer Kreuzung stehen und den Moment herbeisehnen, an dem die Ampel endlich auf Grün schaltet. Plötzlich sprintet er los, weicht zwei rasenden Fahrzeugen aus und springt im Stile eines Stuntmans auf einen quietschenden Wagen auf. Glücklicherweise nicht auf einer viel befahrenen Straße, sondern beim Autoscooter auf dem Schweinfurter Volksfest. Ein junges Mädchen hat Schwierigkeiten mit dem Lenkrad und der 25-jährige Mitarbeiter hilft ihr dabei, wieder Fahrt aufzunehmen.
Heute ist Familientag, halbe Preise und dementsprechend viel Trubel rund um den Stand des Fahrgeschäftes. Neben der lauten Musik und den brummenden Motorgeräuschen, hört man vor allem schreiende Kinder und knallende Zusammenstöße. Diese werden nicht selten mit purer Absicht und Freude herbeigeführt.
Gas geben liegt in der Familie
„Das Volksfest bietet die Möglichkeit, eine besondere Freizeitgestaltung vor der eigenen Türe zu haben, für die man sonst hunderte Kilometer fahren müsste“, sagt Heiner Distel. Der 37-jährige Münchner leitet das Familien-Unternehmen in dritter Generation. Mit hochgekrempelten Ärmeln sitzt er auf seinem Drehstuhl im Kassenhäuschen und beobachtet das Geschehen auf der Fahrbahn. Im Sekundentakt stehen Kinder, Eltern und Großeltern vor ihm und verlangen Fahr-Chips. Fast wie bei einer auswendig gelernten Choreographie bewegt er seine Hände rasch von den Chips zu den Kunden und wieder zurück zur Kasse. „Du darfst leider noch nicht alleine fahren“, sagt er einem kleinen 6-Jährigen Jungen. Ohne Begleitung sind die Autoscooter hier erst ab zehn Jahren zugelassen.
Das Kassenhäuschen wirkt wie eine Kommandozentrale. Am PC wird die dröhnende Musik abgespielt, ein weiterer Display ist für die Steuerung einer LED-Leinwand zuständig. Ein alter Plattenspieler und unzählige CD's finden ebenfalls einen Platz im kleinen Raum. „Das ist eigentlich nur noch Nostalgie“, sagt Distel über den Plattenspieler und fügt hinzu: „Den brauchen wir nicht mehr, aber ich kann mich einfach nicht von ihm trennen.“ Der Chef ist seit 19 Jahren mit dabei. Sein Vater hat den Betrieb zuvor von seinem Vater übernommen. Seit den 30er-Jahren wird in der Familie Distel Autoscooter gefahren. Seit gut 60 Jahren sind die Schausteller auch auf dem Schweinfurter Volksfest vertreten. „Wir kommen immer gerne hier her“, sagt Distel. Das Feuerwerk gehört für ihn zu den Highlights des Volksfestes.
Ein Leben im Wohnwagen
Zusammen mit seiner Frau und einem kleinen Sohn ist Heiner Distel Jahr für Jahr auf den Volksfesten Bayerns unterwegs. Von Würzburg und Schweinfurt, über Ingolstadt bis hin zum Oktoberfest in München gehören zehn Standorte zur jährlichen Saison. Dabei leben die Distels in einem Wohnwagen. „Das klingt exotischer als es ist“, sagt er und zeigt auf den 14 Meter langen Wohnwagen, der neben einem Büro auch noch ein Kinderzimmer beinhaltet. „Es ist aber trotzdem schon ein spezielles Leben“, sagt der Münchner, der nach seiner Zeit im Internat sofort wusste, was er beruflich machen wird. Seine Frau hat er dementsprechend auch in der Schaustellerbranche kennengelernt. „Das ist in dieser Szene eigentlich normal“, sagt er schmunzelnd und greift an das Mikrofon, welches links neben ihm steht. „So, Vorsicht bitte, es geht wieder los, die Fahrt beginnt!“
Elf Tage Arbeit am Stück
Nur weil das Volksfest erst in den Mittagsstunden öffnet, heißt das für die Autoscooter-Betreiber nicht, dass sie bis dahin Freizeit haben. Am Morgen werden die Fahrzeuge vorbereitet, die Bahn gereinigt. Nachdem der Festbetrieb begonnen hat, strömen die Fahrbegeisterten bis in die Nacht zum Autoscooter. „Nach solchen Tagen fallen wir natürlich tot ins Bett“, sagt Distel und ist froh, sich während der elf Tage auf seine vier Mitarbeiter verlassen zu können. „Sie tanzen förmlich mit den Autos“, sagt er lobend über die Männer, die an der Fahrbahn für Ordnung und Sicherheit sorgen.
Einer von ihnen ist André Bierl. „Ich mache ein bisschen von allem und helfe den Kindern“, sagt er. Bierl ist seit 18 Jahren in der Branche tätig und hat immer noch Spaß dabei. „Und der ist nur zur Dekoration da“, ruft er seinem jüngeren Kollegen Sven Hergerts scherzend zu. Der 25-Jährige lacht darüber und sprintet anschließend wieder zu einem hängengebliebenen Auto. „Klar holt man sich mal ne Fußprellung, aber es ist nie etwas schlimmes passiert“, so Hergerts. Mit zwei weiteren Mitarbeitern achten die Männer darauf, dass kein Besucher verletzt wird. Nach jeweils zweiminütiger Fahrt strömen die begeisterten Besucher von der Fahrbahn. „Das war voll cool, vor allem, dass man die anderen rammen kann“, sagt der elfjährige Niko. Wenige Meter weiter diskutiert ein junges Mädchen mit ihrer Mutter. „Das war viel zu kurz, ich will nochmal.“
Bis die Saison endet
Im Kassenhäuschen ist es unterdessen nicht ruhiger geworden. Gerade am Familientag hat Heiner Distel alle Hände voll zu tun. Trotzdem oder gerade deswegen ist er mit dem bisherigen Schweinfurter Volksfest einverstanden. „Dieses Jahr ist absolut zufriedenstellend, das Wetter spielt natürlich auch noch mit“, sagt er. Bis die Saison endet, ist er mit seiner Familie und dem Team jedenfalls weiterhin unterwegs. Nächste Station ist das Kiliani-Volksfest in Würzburg. In der Weihnachtszeit steht dann ein Glühweinverkauf auf dem Programm und im Januar und Februar ist Urlaub. Bis Montag hallt es aber erst einmal weiter durch die Lautsprecher: „So, Vorsicht bitte, es geht wieder los, die Fahrt beginnt!“