Karin Schaffner hat schon unzählige Vorträge gehalten, aber diesen einen vor rund 30 Jahren in Thüringen wird sie wohl nie vergessen: In einer einstündigen Diashow stellte sie damals ihr Konzept des „Bewegungskindergartens“ im Kindergarten „Pusteblume“ in Erfurt vor. Es war der erste Vortrag über ihr Projekt außerhalb Bayerns – und er sollte sie auf eine harte Probe stellen. Denn ihr Konzept kam bei den Erfurtern gar nicht gut an. Ihr Vortrag wurde, wie sie heute selbst beschreibt, innerhalb weniger Minuten „bis aufs Äußerste zerlegt“: Bewegung im Kindergarten? Unvorstellbar! Werkbänke in Gruppenräume? Viel zu gefährlich!
Idee setzt sich durch
Wenige Wochen später erhielt sie einen Brief aus Erfurt: „Wir haben einige Ihrer Ideen umgesetzt. Das befürchtete Chaos ist nicht ausgebrochen“ – „Pusteblume“ wurde damit zum ersten Bewegungskindergarten in Thüringen. Heute gibt es unzählige weitere in ganz Deutschland. Entgegen aller Widerstände hat sich Karin Schaffner mit ihrer Idee durchgesetzt. Dafür wurde die 78-jährige jetzt die Bundesverdienstmedaille ausgezeichnet.
Das Konzept „Bewegungskindergarten“ entstand, als Schaffners Kinder selbst in den Kindergarten gekommen sind. Dort sei zwar gebastelt und gemalt worden, aber niemand habe sich bewegt. „Mir war klar: Das ist falsch, was die da machen“, so die 78-jährige. Kinder bräuchten Bewegung. Sie sei Grundlage für die persönliche Entwicklung. Sätze wie „Klettere da nicht rauf!“ oder „Spring da nicht runter!“ hörten sie viel zu oft.
Was Schaffner damals schon intuitiv anwendet, bestätigen Hirnforscher später: Lernen läuft über Koordination und Bewegung. Erst dadurch entstehen im Gehirn die wichtigen Vernetzungen. Über Bewegung werden nicht nur motorische, sondern auch geistig-intellektuelle, soziale und psychische Fähigkeiten gefördert. 1985 entsteht in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Sportjugend schließlich das Modellprojekt „Bewegungskindergarten“ im Schweinfurter Kindergarten Christuskirche.
Workshops in ganz Deutschland
In den darauffolgenden Jahren nimmt Schaffner als Referentin an unzähligen Fachtagungen teil, darunter mehrmals am Kongress „Bewegte Kindheit“ in Osnabrück, und leitet Workshops und Seminare bei Fortbildungen der deutschen Sportjugend für Erzieher und Grundschullehrer. Schaffner ist Autorin, Dozentin, Forscherin und Liedermacherin. Sie war 24 Jahre Stadträtin in Schweinfurt, hat mehrere Bücher veröffentlicht, arbeitet mit Hirnforschern, Pädagogik-Professoren und Sportwissenschaftlern zusammen und steht in ständigem Kontakt zu den Universitäten in Bayreuth, Erfurt, Osnabrück, Augsburg und zum Staatsinstitut für Frühpädagogik in München. Sie gilt als „unermüdliche Streiterin“ für eine bessere Ausbildung der Erzieherinnen in deutschen Kindergärten und als Pionierin des Bewegungskindergartens.
Dabei hätte es für die heute 78-jährige auch ganz anders kommen können: Sie hätte nach ihrer Mittleren Reife einfach bei SKF im Labor bleiben können, um weiterhin jeden Tag Stahl auf nicht-metallische Einschlüsse zu untersuchen. Auch heute erzählt sie noch gerne, meist schmunzelnd, davon. „Da habe ich mir nicht vorstellen können, dass Kinder einmal mein Leben so bestimmen würde“, sagt Schaffner. Ihre eigenen Kinder sind damals schon im Turnverein. Doch das Konzept des „Riegenturnens“, bei dem sich die Kinder geordnet und nacheinander bewegen, gefällt der ehemaligen Kunstturnerin nicht. Sie bietet selbst einen Kurs an und nennt ihn „Erlebnisturnen“ – das Angebot kommt gut an. Um ihr Bewegungskonzept auch im Kindergarten aufbauen zu können, absolviert sie schließlich eine Zusatzausbildung als Erzieherin.
Schlaganfall gut überstanden
Ihr Engagement für den Sport nimmt kein Ende – auch nicht, als sie im Herbst 2015 einen schweren Schlaganfall erleidet und halbseitig gelähmt ist. „Dass ich mich nicht mehr bewegen konnte, war das Härteste für mich“, so Schaffner. Doch sie habe hartnäckig geübt, um wieder zur alten Form zurückzukehren. Mit Erfolg: Im darauffolgenden Frühjahr referiert sie bereits wieder bei einer Fachtagung.
Nach wie vor hält Schaffner bundesweit unzählige Referate über Sport und Bewegung – heute allerdings ohne dabei „bis aufs Äußerste zerlegt“ zu werden. Den Kontakt zur „Pusteblume“ in Erfurt pflege sie allerdings bis heute.