2019 droht die Turmspitze der evangelischen Pfarrkirche St. Michael in Gochsheim herunterzustürzen. Viel Holzgebälk im Innern war morsch. Das Turmkreuz wurde heruntergeholt, das Dach fachmännisch restauriert. Nun kehrte das Kreuz an seinen alten Platz zurück. Geladene Gäste und interessierte Bürger erlebten die Aktion mit. Zunächst hatten sie noch einmal Gelegenheit, Zeitdokumente aus drei Epochen in der Turmkugel zu bewundern.
Pfarrer Wolfgang Stumptner umriss drei Abschnitte der Kirchensanierung und die jeweiligen zeitgeschichtlichen Begleitumstände, während Pfarrerin Monika Roth-Stumptner Zitate verlas.
Größeres Kirchenschiff bis 1880 gebaut
1872 wurde das alte Kirchenschiff abgerissen und bis 1880 vergrößert in neugotischem Stil wieder aufgebaut, denn die Gemeinde und die Zahl der Kirchenmitglieder waren erheblich gewachsen. Die Belegstücke berichten von einem extrem kalten Winter. Viele Obstbäume und Weinstöcke erfroren. Im Mai zerstörte ein Spätfrost große Teile der Gemüsesaat, danach folgte Regenmangel. Gochsheim zählte 1763 Einwohner.
1926 kommen die Dokumente in eine Blechhülse
1926 musste die Turmspitze renoviert werden, da sie im Ersten Weltkrieg erhebliche Schäden davongetragen hatte. Die Turmkugel war mehrfach durchlöchert. Bei ihrer Abnahme wurde festgestellt, dass die Dokumente, die in einem Glas verwahrt worden waren, nicht mehr lesbar waren, da das Glas zerbrochen war. Deshalb wurden die Dokumente fortan in einer Blechhülse verwahrt. 400 Gochsheimer waren im Ersten Weltkrieg einberufen worden, 81 von ihnen kehrten nicht zurück. Das Brot war rationiert worden, die Feldarbeit musste von Kindern, Frauen und Alten geleistet werden.
Schäden des Weltkriegs bis 1956 beseitigt
1956 wurden Sanierungsarbeiten abgeschlossen, die als Folge des Zweite Weltkriegs notwendig geworden waren. Der damalige Pfarrer Wilhelm Beuschel schreibt: "Die Sankt-Michaelis-Kirche blieb in den Stürmen des zweiten Weltkrieges gnädig bewahrt. Die zwei kleineren Glocken, die 1942 hatten abgeliefert werden müssen, wurden bei Kriegsende auf dem Glocken-Friedhof Hamburg noch aufgefunden und an einem strahlenden Märzentag 1948 von der ganzen Gemeinde feierlich eingeholt; im Ostergottesdienst erklang erstmals wieder das volle Geläute der vier Glocken. Das durch zahlreiche Bomben und Granatsplitter beschädigte Kirchendach konnte 1949 umgedeckt und erneuert werden. Die während des Krieges durch Luftdruck zerstörten fünf Chorfenster (einfache Glasmalereien) wurden 1952 durch Putzenscheiben ersetzt. 1953 wurde das elektrische Läutwerk eingerichtet, gleichzeitig von der politischen Gemeinde eine neue Turmuhr beschafft. Nach durchgreifender schrittweiser Instandsetzung des Pfarrhauses (innen und außen) in den Jahren 1954 bis 56 muss nun in den nächsten Jahren die äußere und innere Erneuerung des Kirchengebäudes in Angriff genommen werden."
2023: Gochsheim hat sich vom Bauerndorf zur Stadtrandgemeinde gewandelt
Und was ist auf den Zeitzeugnissen von 2023 zu lesen? Gochsheim hat sich vom Bauerndorf in eine Stadtrandgemeinde mit 6351 Einwohnern gewandelt. Seit zwölf Jahren besteht die Kirchengemeinde, Ökumene und Umweltstandards sind bedeutsam. Zahlreiche Renovierungen: Kircheninnenraum, Pfarr- und Jugendhaus. Sinkende Zahl der Kirchenmitglieder.
Bürgermeister Manuel Kneuer äußerte den Wunsch, dass wieder mehr als fünf Jahrzehnte vergehen mögen, bis die nächste Turmsanierung ansteht. Er, Pfarrer Stumptner und Architekt Lukas Neuner dankten den ausführenden Firmen. Sie äußerten den Wunsch, dass die Arbeiten weiterhin unfallfrei verlaufen. Neuner verwies auf die vor sechs Jahren begonnenen Planungen und die nun seit acht Monaten laufenden Arbeiten. Auf der Nordseite wurde der Bodenbelag abgesenkt, die Fußbodenheizung saniert, der Eingang behindertengerecht umgestaltet, der Turm eingerüstet, die morschen Holzteile ausgetauscht und Schalarbeiten ausgeführt. In dieser Woche wird das Südportal von einem riesigen Kran ins Innere der Kirchengaden gehoben.
Nach dem Gebet erteilte Pfarrer Stumptner den Segen, bevor es in den Gadenhof ging. Dort beförderte ein Kran das Turmkreuz und die Turmkugel wieder hinauf auf den Turm, wo Mitarbeiter der Dachdeckerfirma Thilo Hammer sie montierten.
