Es herrscht eine besondere Stimmung an diesem Freitagnachmittag in der ehemaligen Klosterkirche von Ebrach. Draußen blinzelt die Sonne hin und wieder durch den dicken, grauen Wolkenvorhang und bringt den vorwiegend in weiß und gelb gehaltenen Innenraum des Gotteshauses kurz zum Leuchten. Die Heiligenfiguren, die zahllosen Engelchen – alles erscheint plötzlich so lebendig, so licht, so schwebend, so leicht. Dann verkriecht sich die Sonne wieder in ihrem Wolkenbett, und in das Kirchenschiff, in das die Besucher in diesen ersten Novembertagen nur einen Blick durch das schmiedeeiserne Rokokogitter werfen können, kehrt wieder Herbstmelancholie ein. Die Farben verblassen, alles wirkt auf einmal seltsam dumpf.
Dumpf wie die Klänge, die hin und wieder durch den Raum wabern. Sie kommen aus der Evangelienorgel, deren prachtvoller Prospekt sich links über dem imposanten Chorgestühl erhebt. Zusammen mit ihrer kleineren Schwester, der ihr gegenüberliegenden Epistelorgel, soll sie in zwei Tagen, am Sonntag, vom Bamberger Erzbischof Ludwig Schick geweiht werden und dann erstmals nach gut zehn Jahren wieder erklingen.
„Wir müssen uns mit jedem Ton hier einzeln anfreunden.“
Rolf Linden, Intonateur
In den Jahren 1753 bis 1760 sind die beiden Orgeln unter dem aus Gerolzhofen stammenden Abt Hieronymus Held vom Frankfurter Orgelbauer Johann Christian Köhler in die Nischen über dem Chorraum eingebaut worden. Dass sich die Organisten in den Spielschränken quasi gegenübersitzen und Blickkontakt haben, ist einzigartig im süddeutschen Raum und ermöglicht die Aufführung von Orgelduetten. Die Ebracher Chororgeln sind Köhlers größtes erhaltenes Werk, erzählt der Ebracher Pfarrer Albert Müller und schwärmt: „70 bis 80 Prozent der historischen Substanz sind noch erhalten.“
2004 waren die Orgeln im Zuge der Kirchenrenovierung ausgebaut worden. Erst 2009 stand die Finanzierung für die auf 700 000 Euro veranschlagte Restaurierung der Orgel-Schwestern. Einen Großteil davon, 450 000 Euro, schulterte die Oberfrankenstiftung. „Das ist ein überdurchschnittlicher Zuschuss, welcher der Bedeutung der Orgeln Rechnung trägt“, sagt Pfarrer Müller. Nach Abzug weiterer Zuwendungen blieben rund 126 000 Euro, die Erzdiözese, Pfarrei, Gemeinde und Orgelförderverein aus Eigenmitteln zu bestreiten hatten. 2010 holten Experten der Bonner Orgelbaufirma Klais die Pfeifen und das Innenleben der Orgeln ab. Seit Juli kehrten die Teile nach und nach zurück.
Mit ihnen kamen die Orgelbauer. Und die sind auch jetzt noch eifrig am Werkeln. „Was macht ihr denn noch? Die Orgel ist doch fertig!“, bekamen Rolf Linden und seine Kollegen schon mal zu hören. Linden muss schmunzeln. Er ist der Intonateur. Er stimmt die Orgeln, passt ihren Klang der Akkustik der Kirche an. Eine diffizile Arbeit, die den Blicken entzogen im engen und wenig schmuckvollen Bauch der Orgel abläuft. „Die Leute denken immer, eine Orgel besteht nur aus den Pfeifen im Prospekt“, ergänzt Lindens Kollege, der Orgelbaumeister Andrzej Kriese. Doch dort stehen jeweils nur ein paar Dutzend davon. Insgesamt haben beide Orgeln etwa 3000.
„Wir müssen uns mit jedem Ton hier einzeln anfreunden“, scherzt Linden. Sein Arbeitsplatz ist spartanisch. Eine Sitzgelegenheit nahe der Pfeifen, ein Holzklotz als improvisierte Werkbank. Viel braucht er nicht, um die Töne so zu formen, wie sie sein sollen. Eine Schere, um gegebenenfalls die Metallzunge in der Pfeife etwas zu kürzen. Ein Messer, um das Fenster, durch das die Luft auf diese Zunge strömt, etwas weiter zu öffnen. Einen Hammer, um mit einem Holzklötzchen Einfluss auf die Stellung des Zungenblatts nehmen zu können. Ein selbst gefertigtes Eisen, um die Stimmkrücke nach Bedarf etwas weiter in den Holzstiefel der Pfeife zu treiben oder sie herauszuziehen. Eine Tasse Tee, um gegen die Kälte im Orgelinneren anzukämpfen. Und natürlich sein wichtigstes Werkzeug, sein Gehör. Wenn Linden selbst nicht mehr weiterkommt, ist Jürgen Reuter gefragt und nimmt die Pfeife mit in seine improvisierte Pfeifenwerkstatt, die er in der Nische eines Seitenaltars aufgeschlagen hat.
„Ich wünsche mir, dass sie mit diesen Orgeln wuchern.“
Dr. Hans Wolfgang Theobald, Leiter der Orgelrestaurierung
Dann ist der große Tag gekommen. Erzbischof Ludwig Schick segnet das Orgel-Duo und nennt in seiner Predigt drei Gründe, weshalb man das Projekt in Angriff genommen habe. Er spricht vom Kulturauftrag der Kirchengemeinschaft, von der religiösen Dimension der Orgelmusik und davon, welche Symbolik für die Gläubigen von der Orgel ausgehe: So wie die 3000 Orgelpfeifen sich zu einem Klang verbinden, so sollten auch die Menschen ihre vielfältigen Talente in die geschwisterliche Gemeinschaft einfließen lassen. An dieser Feinabstimmung müsse jeder einzelne so arbeiten, wie die Orgelbauer an der der Pfeifen.
Dass deren Arbeit erfolgreich war wird deutlich, als Diözesanmusikdirektor Markus Willinger und Regionalkantor Karl-Heinz Böhm in die Tasten greifen und Werke von Guami, Muffat, Lucchinetti, Cherubini und Händel zu Gehör bringen. „Die Orgel ist ergonomisch eine große Herausforderung, da alle Maße am Spieltisch sehr individuell sind“, fasst Willinger seine Eindrücke zusammen: „Aber man wird belohnt durch tolle, musikalische Möglichkeiten. Die Orgeln haben eine ganz besondere Charakteristik. Eine klangliche Patina. Solche Instrumente reifen mit der Zeit.“ Die Orgelbauer der Firma Klais haben die beiden Instrumente wieder etwas näher an das einstige Original herangeführt, betont der Leiter der Restaurierung, Dr. Hans Wolfgang Theobald. Man habe Verlorengegangenes ersetzt, Veränderungen früherer Restaurierungen aber durchaus bewusst auch belassen. Zum Schluss richtet er eine Bitte an die Ebracher: „Ich wünsche mir, dass sie mit diesen Orgeln wuchern.“