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SCHWANFELD: Klempnern am Königsstuhl

SCHWANFELD

Klempnern am Königsstuhl

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    Abtauchen: An einem dicken Seil gesichert steigt Antonia Linzbach in das Schwanfelder Klärbecken ein.
    Abtauchen: An einem dicken Seil gesichert steigt Antonia Linzbach in das Schwanfelder Klärbecken ein. Foto: Foto: Richard Köth

    Es gibt Unangenehmeres als Tauchgänge in der Kläranlage von Schwanfeld. Zum Beispiel Tauchgänge bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt: Wenn zwischen undefinierbaren braunen Lachen zarter Eisnebel übers Nachklärbecken streicht, wie an diesem Dezemberabend.

    Der Zustrom an Abwasser wurde gestoppt, es gab Unregelmäßigkeiten im Wasserstand, nun fließt Schwanfelds Brühe erstmal in ein Rückhaltebecken – Taucher müssen in Absprache mit dem Wasserwirtschaftsamt ran, um der Ursache auf den Grund zu gehen. In diesem Fall geht sogar eine Taucherin den Dingen auf den Grund. Rund 1500 Euro könnte der Gemeinde die Überprüfung kosten: „Immer noch günstiger, als wenn das Wasser komplett abgelassen werden muss“, betont der anwesende Bürgermeister Richard Köth.

    Auf der Räumerbrücke über einem fränkischen Klärwerk weht öfters mal ein „Hauch“. Ungewöhnlich ist an diesem Tag der Hauch von „Küstenwache“: Für das marine Flair sorgt der Tauchmeisterbetrieb Kerlen aus Hanau. Chef Karl Kerlen ist eigentlich Hamburger, war mal Kapitän der Handelsmarine. Suchte dann neue Herausforderungen im Zeitalter routinierter Containerschifffahrt, ist mit sechs festen Mitarbeitern nach Süden gewandert.

    Für Abwechslung scheint jetzt gesorgt: „Man weiß nie, was einem ein paar Meter in der Tiefe erwartet“, so der rundum abgeklärte Hanseat, keine Maschine könne da den Menschen ersetzen. Unter Wasser darf geschraubt werden, betoniert und geschweißt, hier lauern Überbleibsel aus Luft- und Seekrieg. Oder, wie in diesem Fall, absolute Dunkelheit, wo „Sehen“ im aufgewirbelten Schlamm reinen Tastsinn meint.

    Kerlens Tiefenrekord liegt bei 80 Metern, an dieser Baustelle geht es erstmal nur 4,80 Meter nach unten. Es sind Komplikationen bei der Technik, die der jungen Helmtaucherin Antonia Linzbach zu schaffen machen. Irgendwas stimmt nicht mit dem Zufluss im trichterförmigen Beckenboden, wo der Königsstuhl steht: Ein Konstrukt mit Abdeckhaube, wo Wasser aus dem Belebungsbecken hochströmt und Schlamm durch Leitbleche zum Abräumen verteilt wird. Offenbar ist diese Anlage momentan enorm verdreckt und verstopft.

    Per Sprechfunk ordert die Froschfrau ihr Werkzeug. Fast vier Stunden lang ist sie im Wasser, was ungewöhnlich ist, auch wenn es schon Siebenstunden-Einsätze gegeben hat. Die Aufpasser am Tauchertelefon müssen zum Sprechen ein Knöpfchen drücken, die Taucherin hört man, zur Sicherheit, immer: Antonias „Selbstgespräche“ in der Finsternis klingen aber ziemlich entspannt und klar: Trotz 14 Kilo schwerem Raumfahrerhelm und Gewichten. Hyperventilieren vor Überanstrengung wäre jedenfalls schlecht. Ein Kompressor im Transportwagen erzeugt die nötige Luft, die dann über ein Schlauchsystem in den Helm gepumpt wird, an dem zugleich das Mikrofonkabel hängt – notfalls könnte man die Frau an diesem starken Strang wieder herausziehen. Auf dem „Schlauch stehen“ sollte besser keiner.

    Für Notfälle hat die Arbeiterin eine Pressluftflasche auf den Rücken, der Überdruck im Anzug soll schnelles Volllaufen verhindern. Ansonsten herrscht fast die übliche Atmosphäre von Klempner im Untergrund, werden schwere Schraubzwingen und Schraubenschlüssel am triefenden Eimer herunter oder heraufgereicht, wenn die Schelle bockt oder die Schraube klemmt. Zwei eingespielte Helfer ziehen, lockern – „Los am grünen Seil“ – oben die Fäden.

    Eine Kanalreinigungsfirma aus Grafenrheinfeld steht bereit zur Säuberungsaktion, Ingenieur Hugo Barthel steuert sein Fachwissen bei, Bürgermeister Köth hat die Nacht zuvor den Computer durchgeforstet, um Ansichten vom „Königsstuhl“ zu finden, aus der Bauzeit. Am späten Nachmittag rückt die Feuerwehr an, um die Szenerie auszuleuchten. Irgendwann gegen halbsieben abends wird es Antonia dann doch zu kalt unter Gummikragen und Trockentauchanzug, die Konzentration lässt nach, auch andere menschliche Bedürfnisse fordern ihr Recht. An der Leiter geht es wieder hinauf ins Trockene, zum Sauberspritzen und gar nicht so einfachen Befreien aus der Unterwasser-Rüstung.

    „Ich wollte was Praktisches machen“, sagt Antonia Linzbach zur Berufswahl, unaufgeregt unter der Strickmütze, während sie, die Arme noch im Tauchanzug, die Finger mit Klinikhandschuhen vor Infektionen geschützt, heißen Kaffee schlürft. Mit Kläranlagen habe sie noch wenig zu tun gehabt, auf nassen Baustellen war sie einigen. So dunkel sei es im (relativ „sauberen“) Nachklärbecken gar nicht gewesen, erst beim Arbeiten habe sich der ganze Schlamm aufgewirbelt.

    Die toughe Taucherin, 29, ist gelernte Umwelttechnikerin, mit Studium unter anderem in Berlin, außerdem Auslandserfahrung auf Spitzbergen, Norwegens ökologisch bedeutsamer Außenposten im Eismeer. Chef Kerlen ist voll des Lobs über seine Auszubildende: Auf ihre Beschreibungen könne man sich hundertprozentig verlassen. Wenn sie demnächst die mehrjährige Spezialausbildung beendet hat, wird sie wohl Deutschlands erste Berufstaucherin sein – ein Job, für den man wohl emotional besonders ausgeglichen, körperlich belastbar und nicht zuletzt technisch wie handwerklich begabt sein muss.

    Eigentlich schon ein Männerjob, aber: Seitdem Antonia Linzbach mit auf den Baustellen arbeite, habe sich der Ton geändert, das ist dem Hamburger aufgefallen. Jetzt hieße es schon mal „Bitte reich mir mal dem Hammer.“ Bis tief in die Nacht wird weiter gearbeitet, bis irgendwann gegen 23.30 Uhr die Mission erfolgreich beendet ist.

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