Für ihren eigenen Osterstrauch werde sie wahrscheinlich keine Eier mehr haben, sondern wieder die bunten Schnäppchen vom Kinderflohmarkt verwenden. An die Freude in den Augen der Kinder, denen die 75-jährige Rentnerin die Eier einst abgekauft hat, erinnert sie sich heute noch gern.
Staunen und Begeisterung erntet die quirlige Euerbacherin aber auch selbst – für ihre in stundenlanger Handarbeit gefertigten Ei-Gravuren. In hauchzarten, weiß eingeritzten Linien lässt sie auf handelsüblichen Hühnereiern kunstvolle Blüten, Blätter, Sträuße und Blumenarrangements erblühen. Eines schöner als das Andere.
Und keines gleicht dem Anderen. Denn jede Eierschale hat ihre Eigenheiten und Schönheitsfehler. Aber die kann Emilie Wölfling mit ihren phantasievollen Motiven bestens ausmerzen und kaschieren. Wenn das elektrische Gravurmesser mit 20 000 Vibrationen pro Minute anläuft und von der Hand der lebensfrohen Omi über die Kalkschale geschoben wird, lässt die künstlerische Freiheit sämtliche Gestaltungsvariationen zu.
Doch Blumen sind und bleiben Wölflings Lieblingsmotiv. Sie seien einfach schön und zeitlos, sagt sie. So können die Eier auch außerhalb der Osterzeit in der Wohnung dekoriert bleiben. Mit roten und braunen Zwiebelschalen eingefärbt, erhält jedes Ei einen individuellen Braunton. Wölfling verwendet übrigens ausschließlich Hühnereier und hier am liebsten die ohnehin schon braunen. Sie nehmen die Farbe besser an.
„Man muss eine ruhige Hand haben“, betont die auch in anderen Handarbeitstechniken versierte Witwe. Denn, sagt sie, das Material erlaube keine Fehler. Unter der ringförmig beleuchteten Arbeitslupe von Emilie Wölfling enthüllt die braun gefärbte Kalkschale dann Gravurstrich für Gravurstrich ihren strahlend weißen Untergrund. Mit ein paar Bleistiftlinien vorskizziert, entsteht so in zwei bis drei Stunden ein einzigartig verziertes „Ganzjahres-Osterei“.
Ihr Faible für filigran verzierte Motiv-Eier hat die geduldige Rentnerin schon vor Jahrzehnten entdeckt. Auf Ausstellungen bewunderte sie deren Detailreichtum sowie die unterschiedlichen Mal- und Gravurtechniken. Bis sie vor rund 20 Jahren selbst zum Werkzeug griff. Ihr erstes selbst graviertes Ei hat sie sehr lange zu Hause gehabt. Dann fiel es dem kräftigen Daumendruck eines Enkelkinds zum Opfer.
Doch tausende weitere Eier hat die Witwe inzwischen graviert – in ihrer selbst entwickelten und entsprechend typischen Farb- und Dekorgebung. Viel Inspiration aus dem Stapel Motivheftchen, der in ihrem praktisch eingerichteten Arbeitszimmer liegt, brauche sie nicht mehr. Ihr Stil und ihre Blumenformen bedürfen auch gar keiner Verbesserung mehr, sei es erlaubt zu urteilen:
„Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken. Doch es gibt welche, die welken nicht: Jene, die Emilie Wölfling sticht.“