„Liebe, das hatten wir heute noch nicht“, meint Elena Gurevich in der andächtig lauschenden Johanniskirche. Russlands berühmte Seele, jüdisches Neujahr, das Pathos aus schneller, gefälliger Filmmusik und „tieferen“ Meisterwerken, das Leichte und das Schwere treffen sich hier im Altarraum zu einer Art frei schwebendem Klang-Ballett: beim mehr als anderthalbstündigen Beitrag „Klassik meets Film“, fast schon eine Kulturnacht für sich, innerhalb der eigentlichen, 17. „Nacht der Kultur“.
Der Liebe wegen lässt die aus Kaliningrad stammende Pianistin (Ehefrau des Münchner Journalisten und Autors Michael Klonovsky) die Titanic-Titelmusik auf Liszts Liebestraum Nr. 3 treffen. Wie „zwei Fußballmannschaften“ treten Soundtracks und Klassiker gegeneinander an – und sind, wie so mancher scheinbar eindeutiger Gegensatz, gar nicht so leicht zu unterscheiden. Die schnelle Musik zur Fluchtszene von „Ziemliche beste Freunde“ etwa „konkurriert“ mit Rimski-Korsakows Hummelflug, „Vom Winde verweht“ mit einem Walzer von Brahms. Der „Englische Patient“ trifft auf die Aria der Goldberg-Variationen von Bach, der „Fluch der Karibik“ auf Chopin.
Gerade am Klavier war wechselseitige Inspiration immer erlaubt – und Liebe meint nicht zuletzt grenzüberschreitende Liebe zur Musik: Die Finger der preisgekrönten Tochter eines russischen Chefdirigenten, mit Studium in Jerusalem, Petersburg und Karlsruhe, fliegen, tanzen ruhelos über die Tastatur. Elena Gurevich, das hatten wir noch nicht.
Johanna Bonengel vom „Kultur Packt“ als Gastgeber freut sich, draußen auf dem Platz, nicht zuletzt darüber, dass sich viele junge Menschen unter die Besucher gemischt haben. Die Zukunft (unter Geschäftsführer Gerald Günther) scheint gesichert. An diesem Abend fügen sich auch weniger bekannte Schweinfurter Ausstellungsorte wie Stadtschreiber- und Gunnar-Wester-Haus (mit ihrer Ikonensammlung) ins Gesamtkunstwerk ein: „Da hat jeder was davon“, so Bonengel.
Auch das spätsommerliche Wetter trägt zur Federweißer- und Pizza-Launa bei. Das Symbol am Samstag ist die Tomate: Kernig, saftig und aromatisch soll das Angebot sein. Mit kurzen Wegen zur Kultur, rund um Johanniskirche und Martin-Luther-Platz: In diesem Jahr ist das „Johannisquartier“ die Bühne, wie das Stadtviertel vielleicht nach Lübecker Vorbild getauft worden ist.
Erste Schätzungen vermuten, dass die Tausender-Marke bei den Eintritts-Bändchen, die Zutritt zu 15 „Locations“ – darunter das Museum Altes Gymnasium, der Rückert-Bau oder die Alte Reichsvogtei – mit über 35 Künstlern und Gruppen verschaffen, locker geknackt wurde.
Los geht es lautstark mit Tam Tam, eine Formation von etwa 30 Trommlern, rund um Ulla Voigtländer und Petra Eisend, ein integratives Projekt der Lebenshilfe. Auch sonst ist für jeden Geschmack etwas dabei: Bluesiger amerikanischer Folkrock mit „Stonegarden“ zum Beispiel, der künstlerische Nachwuchs des Celtis-Gymnasiums, Poesie-Tausendsassa Udo Schulz in seinem Atelier am Graben, Flamenco, wilder Indie- Klezmer-Punk mit Red Manhole aus Neustadt an der Aisch, Jens Wimmers Boogie Trio, Masken- und Improtheater, Jazz, Swing, Didgeridoo, Gitarren-Poesie von Lorenz Schmidt, Pin Up Dance, die Schweinfurter Autorengruppe oder Kabarett mit Götz Frittrang und Michael Jakob.
Die Herzensblecher haben aufgepeppten Franken-Folk dabei und führen den finalen Marsch in Richtung Rathaus an. Hauptdarsteller ist und bleibt aber das „Johannisquartier“: Die magische Festillumination des Gebäudeensembles am Luther-Platz hat keine 20 000 Euro gekostet - sieht aber so aus. Trotz des Besucherandrangs wirkt die Nacht der Kultur 2014 eher ruhig, fast ein bisschen in sich gekehrt, inmitten von Schweinfurts „guter Stube“, vor allem die kurzen Wege kommen gut an.
Zum Ausklang leistet der Teufel höchstselbst seinen Beitrag: Besser gesagt die Magdeburger Gauklerin Ambrosia van Serpens, in satanischer Verkleidung, mit turbulenter Feuershow vor der Kirchenpforte, wirbelnden Fackeln und Drachenodem. Erstaunte Rufe werden laut, als zum Höhepunkt des feurigen Treibens auf der Erde hoch oben über Schweinfurt das Licht eines Himmelskörpers hinwegzieht. Eindeutig menschengemacht ist dann wieder das musikalische Abschlussfeuerwerk, zu mitternächtlicher Stunde auf dem Marktplatz, mit Feuerrädern und Flammen-Fontänen.