„Schrei den Menschen auf der Straße deinen Namen in die Fresse, gib dem Affen noch mehr Zucker, lass die Säue noch mehr raus.“ So formuliert die Berliner Jazzsängerin Lisa Bassenge den Wunsch, einmal das Leben voll auszukosten, nicht an morgen zu denken. Die Nacht durchzufeiern, morgens im Nebel durch verschlafene Straßen zu laufen, um zu spüren: Du bist am Leben. „Lass die Schweinehunde heulen“, heißt dieser von ihr komponierte Song, mit dem sie mit ihrer Band das letzte Nachsommer-Konzert in der Kunsthalle ungestüm eröffnet.
Der Titel ihrer neuen CD „Wolke 8“ könnte einiges über die Inhalte der Songs verraten: Immer knapp neben dem vollkommenen Glück, für das „Wolke 7“ als Symbol steht. Knapp daneben, doch noch im Spiel, noch am Leben. „Es geht in meinen Songs um Zustände und Stimmungen, die beides sind: Anwesenheit und Abwesenheit zugleich“, sagt die Sängerin, „etwa Stationen einer inneren Flucht“.
Standen vor einigen Jahren bei der Künstlerin Coversongs noch im Vordergrund, präsentiert sie jetzt vorwiegend eigene Kompositionen mit kraftvoller Lyrik. Für die Texte hat sie als Mitautor den Berliner Schriftsteller Thomas Melle gewinnen können, der Großstadtslang und Metaphern liebt. Die deutschen Texte sind ehrlich, unsentimental, klar, nüchtern, ohne Schnörkel.
Irgendwie reduziert – nur nicht an Stimmstärke – wirkt der Vortragsstil der Künstlerin: Eher ernst, mit sparsamer Mimik, Gestik , Modulation und Dynamik der Stimme. Trotzdem: Ihre kleinen Geschichten des Lebens sind eindringlich, treffen ins Schwarze. Verstärkt wird diese Wirkung durch die Band aus Spitzenmusikern der Berliner Jazzszene wie Christoph Adams (Piano), Kai Brückner (Gitarre), Paul Kleber (Bass) und Rainer Winch (Schlagzeug).
Der Song „Das hier wird für immer sein“ beschreibt die Sehnsucht nach einer dauerhaften Zweierbeziehung, eine deutliche Absage an einen Ex-Lover ist „Van Gogh“: „Wenn ich van Gogh wär, wärst du das Ohr“. Vom Wegträumen erzählt „Nur fort“, der Udo-Lindenberg-Song „Leider nur ein Vakuum“ vermittelt die Einsamkeit inmitten voller Kneipen und fremder Betten. „Weit so weit“ ist Bassenges Bearbeitung von Carol Kings „So far away“.
Ein wunderschönes Stimmungsbild entwirft die Sängerin in „Über Eis“ mit einer Prise orientalischer Melodik. „Staub im Regal“ erinnert die Künstlerin an eine verflossene Liebe: „Du bist nah, bist der kalte Rauch im Bettzeug, bist das Flüstern im Heizungsrohr. Ich halte den kleinen Rest von uns nicht fest, doch der Erinnerung ist es egal, ob sie eingeladen ist.“ Den Schmerz eines Abschieds beschreibt „Hörst du nicht mein Herz“ : Die, oder der so Verletzte ist empört über die Gleichgültigkeit der Welt gegenüber der persönlichen Katastrophe: „Die Tauben picken, als sei nichts passiert“.
Ist das nun Jazz, fragt ein Besucher in der Pause. Nun, mit amerikanischem Frauen-Vokaljazz hat dies sicher wenig zu tun. Lisa Bassenge bietet hier etwas völlig Eigenes, eine geglückte Verbindung von Jazz, Pop und Chanson. Ihre perfekte Jazzartikulation und -phrasierung in den Songs verraten ihre profunde Ausbildung zur Jazzsängerin. Im Hildegard-Knef-Song „Ohne dich“ swingt die Bassenge mit ihren Musikern um die Wette. Und die Freude über die gelungenen Schweinfurter Performance animiert sie zu einer heißen Scat-Improvisation. Herzlicher Applaus und Zugaben.
Zu Beginn des Abends hatte Programmgestalter Clemens Lukas dem Publikum für seine Treue zur diesjährigen Nachsommer-Saison gedankt. Für das Sponsoring - Grundlage der beliebten Veranstaltungsreihe - dankte er der Riedelbau-Gruppe, der Sparkasse Schweinfurt sowie den Firmen Mercedes Benz, SKF und Glöckle Bau. Manfred Herker