„Kandel ist überall“, unter diesem Motto hatte die Partei Alternative für Deutschland, AfD, am Samstagmittag zu einer Kundgebung auf dem nördlichen Marktplatz in Schweinfurt aufgerufen. Platz vor der kleinen Bühne wäre zwischen den Absperrgittern für 250 Personen gewesen, gekommen sind laut Polizeischätzung gut 50. Die Reden der AfD-Politiker auf der Bühne wurden immer wieder mit lautstarkem Pfeifkonzert oder „Nazis raus“-Rufen von den rund 450 Teilnehmern der vom Bündnis „Schweinfurt ist bunt“ initiierten Gegenveranstaltung übertönt oder unterbrochen. Es gab hitzige Rededuelle, Beschimpfungen und Streit zwischen den Parteien, getrennt durch rund 100 Polizeibeamte, es blieb aber alles friedlich.
Standpunkt: Im Land der Sprachlosen
Die Initiative „Kandel ist überall“ wurde gegründet von der AfD-Landtagsabgeordneten Christina Baum aus Baden-Württemberg nach dem Mord an der 15 Jahre alten Mia im südpfälzischen Kandel am 27. Dezember 2017 durch einen afghanischen Asylbewerber. Vor wenigen Tagen wurde der Mann nach Jugendstrafrecht zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt. Das Urteil nach nicht-öffentlicher Verhandlung, bedingt durch die Vorgaben des Jugendstrafrechts, erntete scharfe Kritik auch von Seiten der AfD.
Mahner vor Gewalt durch Flüchtlinge
Die Initiative fordert unter anderem die „sofortige Schließung der deutschen Grenzen“, die „sofortige Abschiebung aller, die illegal im Land sind“ oder „medizinische Alterstests bei minderjährigen Flüchtlingen“. Sie sieht sich als Mahner und Warner vor der aus ihrer Sicht vertuschten Gewalt durch Flüchtlinge. Auf der Internetseite der Initiative sind unter anderem die so genannten Stolpersteine, mit denen in vielen deutschen Städten den Opfern des Holocausts gedacht wird, zu sehen, versehen mit den Namen von Opfern durch von Flüchtlingen begangene Gewaltverbrechen.

In Schweinfurt sprachen die lokalen AfD-Politiker wie Stadtrat Richard Graupner, der Kreisverbandsvorsitzende Christian Klingen und seine Frau Andrea. Außerdem kam neben AfD-Politikern aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Bayern wie Christina Baum, Stefan Raepple, Christiane Christen oder Linda Amon, der Vater eines Opfers zu Wort. Karsten Hempel berichtete über den Tod seines damals 30 Jahre alten Sohnes im September 2017, der in einer Auseinandersetzung mit einem syrischen Flüchtling vor einem Kaufhaus in Wittenberg geschlagen wurde, stürzte, auf den Kopf fiel und im Krankenhaus verstarb. Der Fall ist wahr, einen Gerichtsprozess gab es bisher aber nicht.
Er sei „kein Nazi und kein Rassist“, betonte der Mann, er wolle nur von dem Fall und den aus seiner Sicht vielen Ungereimtheiten berichten. Die Ermittlungsbehörde sprach von einem tragischen Todesfall, aus ihrer Sicht sei es Notwehr gewesen. Hempels Rede wurde zwar nicht so konsequent übertönt wie die Reden der AfD-Politiker, dass es trotzdem „Nazis raus“-Rufe gab, empörte die Redner hernach aber. Sie riefen den Demonstranten zu, sie sollten sich schämen einen trauernden Vater auszubuhen.
Neun Mal so viele Gegendemonstranten
Schon eine halbe Stunde vor der AfD-Kundgebung hatte das Bündnis „Schweinfurt ist bunt“ dazu aufgerufen, auf dem Martin-Luther-Platz vor der Johanniskirche ein Zeichen gegen Hetze zu setzen. Es kamen nach Polizeischätzung 450 Menschen, neun Mal so viel wie zur AfD. Der Großteil ging später auch mit auf den Marktplatz, um gegen die AfD zu protestieren.

„In einer Gesellschaft der Würde haben Gewalt, Hetze und Verleumdung keinen Platz“, sagte die stellvertretende Vorsitzende von „Schweinfurt ist bunt“, Marietta Eder. Der evangelische Pfarrer Wolfgang Weich betonte, man trauere um Daniel in Chemnitz und Mia in Kandel, weil sie Opfer von Gewalt geworden seien. Man dürfe diese Taten, von denen jede eine zu viel sei, aber nicht für Hetze instrumentalisieren.
Die Schweinfurter SPD-Landtagsabgeordnete Kathi Petersen fand ebenfalls klare Worte. Sie könne es nicht glauben, dass man heute immer noch gegen Rassismus auf die Straße gehen müsse. Es sei aber umso wichtiger: „Keine Toleranz für Hetzer. Wir sind mehr“, so Petersen unter großem Applaus. Ulrike Schneider, Stadträtin der Schweinfurter Liste/Freie Wähler, griff unter anderem ihren AfD-Stadtratskollegen Richard Graupner an und mahnte, „sobald die AfD Mainstream geworden ist, müssen wir Angst um unsere Demokratie haben.“
AfD kritisiert Polizei scharf
Die AfD-Redner kritisierten vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihre Asylpolitik scharf, kritisierten die deutschen Medien, insbesondere Fernsehen und Rundfunk, für das angebliche Vertuschen von Straftaten durch Flüchtlinge und brachten Beispiele von Vorfällen in Unterfranken und Schweinfurt, ohne diese zu konkretisieren. Zahlreiche Statistiken wurden zitiert, um zu beweisen, dass Flüchtlinge deutlich krimineller als die deutsche Bevölkerung seien. Auch die anwesenden Polizisten wurden vor allem von Christian Klingen scharf kritisiert, da sie zuließen, dass die Teilnehmer im Umfeld von „Schweinfurt ist bunt“ lautstark ihre Kritik an der AfD-Kundgebung und den Redebeiträgen äußerten – ganz besonders als am Ende gegen 16 Uhr die AfD-Politiker die deutsche Nationalhymne sangen.
Auf Nachfrage war Einsatzleiter Matthias Wehner zufrieden, es sei alles friedlich verlaufen. Es sei Aufgabe der Polizei, die Kundgebung der AfD zuzulassen, aber auch den friedvollen Protest dagegen, der ebenfalls Teil der Meinungsfreiheit sei. „Wir haben auch Schallpegelmessungen an allen Stellen vorgenommen und festgestellt, dass trotz des Protestes überall die Redner der AfD zu hören waren“, so Wehner. Deswegen habe es keinen Grund gegeben, den Protest gegen die AfD aufzulösen.