Gegen Ende gab sich der Nachsommer mit „Dirty Old Man“ Charles Bukowski (1920–1994) betont frivol: In einer Bar-Revue im Ebracher Hof widmete sich ein Berliner Ensemble um den Sänger Michael Kiessling Leben und Werk des amerikanischen Dichters und Schriftstellers, der die Randzonen der amerikanischen Gesellschaft grell ausleuchtete.
Gedämpftes Licht empfängt das Publikum, das diesmal an Tischen Platz nimmt, sich an der Bar mit Drinks versorgt. Lovesongs aus dem Great American Songbook verbreiten eine verträumte Stimmung: „You Go To My Head“ oder „I've Got You Under My Skin“ flüstern von Liebe und Leidenschaft, die Illusion einer nächtlichen Großstadt-Bar nimmt langsam Gestalt an. Bis mit der Vorstellung das Desaster der Tontechnik beginnt, und man plötzlich weiß: „Gern daheim in Schweinfurt“.
Auf der Bühne am Platz des Sängers steht eine Whiskey-Flasche, Symbol für das saufende Genie Bukowski, der dieses Bild selbst immer nach Kräften förderte: Bei seiner Hamburger Lesung in den Siebzigern musste ein gut gefüllter Kühlschrank auf der Bühne stehen. An Hamburg, genauer den frühen Udo Lindenberg, erinnern denn auch Outfit und Körpersprache von Michael Kiessling, der in feinem Nadelstreifen, mit immer gefülltem Glas und zigarettenrauer Stimme die Songs des Abends vorträgt. Die schwanken zwischen Hoffnung, Melancholie, Aufbegehren und Resignation – stammen von Tom Waits, Leonard Cohen, James Taylor & Co. Matthias Behrsing am Piano (bei Tom-Waits-Liedern stilgerecht mit Akkordeon) und Jens Saleh (Kontrabass) sind dabei exzellente Begleiter. Dann der große Auftritt für die Aktrice Franziska Hering, die in der Rolle einer Hure die harte direkte Sprache Bukowskis vermitteln soll: Texte voll brutaler Gewalt, obszöner Sexualität und schmuddeligen Aspekten des Lebens. Aber auch mit all ihrer Zärtlichkeit, Melancholie und Scharfsicht. Eine nicht leichte Aufgabe für die junge Schauspielerin, die sie erst nach geraumer Zeit mit wirklichem Leben erfüllen kann. Auch das Publikum muss erst warm werden, muss sich als Teil der Inszenierung sehen – hier zwischen den Tischen agiert die Schauspielerin während des ganzen Abends.
Sie plaudert aus dem Erfahrungsschatz einer Hure, die wie keine andere Frau das Ego des Mannes stärken könne: Bei ihr glaubt er bedeutsam und vital zu sein, ein Draufgänger und feuriger Hengst. Sie lässt Henry Chinanski – Bukowskis literarisches Alter Ego – von der idealen Hure träumen: „Sie hat einen Goldzahn, schwarze Strapse, Salami-Mundgeruch und drei Warzen am Hintern.“ Dann tiefe Traurigkeit: Nach Kiesslings Song „Alice“ singt sie Bukowskis Nachruf auf eine Hure: „Dein Körper verbrennt zu weißer Asche.“
Nachtschwärmer in der Kellerbar
Ihre große und überzeugende Szene hat die Schauspielerin in der autobiografisch gefärbten Abrechnung einer enttäuschten Frau mit ihrem Mann: „Du sitzt auf dem Hocker, hast nur Saufen und Pferdewetten im Kopf. Morgens wachst du kotzend auf, hast Magengeschwüre, hohen Blutdruck und Hämorrhoiden. Du flüchtest dich vor jedem Gespräch, legst deine beschissenen Sinfonien auf. Sex ist für dich Arbeit – warum hast du nur Angst vor der Pussy einer Frau?“ Der Mann, Michael Kiessling, kann darauf nur mit dem Hildegard-Knef-Song „Lass mich bei dir sein“ antworten.
Auch Kiessling steigert sich: In „Invitation To The Blues“, „I'll Shoot The Moon“, „Liebeslied“ von Bertolt Brecht“ und „Downtown Train“ zeigt er seine differenzierte Gesangs- und Vortragskunst, voller Blues oder Leidenschaft, heimst dafür immer wieder stürmischen Applaus ein. Und als er zum Schluss mit Franziska Hering den Tailor-Song „You've Got A Friend“ anstimmt, sind die Nachtschwärmer in der Kellerbar restlos begeistert. Übrigens: Abendsponsor E.ON hatte die Getränke spendiert. Bukowski hätte sich gefreut.