„Hier auf Bali gibt es eine Welt jenseits der Welt, die Dinge sind beseelt und können magische Kräfte entwickeln.“ Eine Welt jenseits der Welt – für den Romanautoren ein Traum. Bali, das Eiland mit den vielen Gesichtern, das so lange noch den Zauber des Unerschlossenen, des Geheimnisvollen bewahrt hat. Für Lothar Reichel ist die indonesische Insel zu einer zweiten Heimat geworden. Reichel, 57, gebürtiger Schweinfurter, wohnhaft in Oberwerrn, Radiojournalist in Würzburg, hat die ganze Welt bereist. Auf Bali war er schon als junger Mann, und er ist seither immer wieder zurückgekehrt.
Lothar Reichel ist keiner dieser Europäer, die dauernd davon schwärmen, wie viel mehr als die westliche ihnen doch die asiatische Kultur entsprechen würde. Im Gegenteil. Was ihn persönlich an Bali so fasziniert, ist kaum aus ihm herauszubekommen. Stattdessen hat er einen Bali-Roman geschrieben: „Insel der Dämonen – Eine Geschichte von Liebe und Tod auf Bali“ ist im Herbst beim Würzburger Buchverlag Peter Hellmund herausgekommen. Es ist sein Erstling, obwohl seine bislang fünf Schweinfurt-Krimis vorher erschienen sind.
Das Bali-Buch ist früher entstanden, Lothar Reichel hat es überarbeitet, wie ein Frühwerk wirkt es durchaus nicht. Der Untertitel zitiert bewusst den einzigen anderen Bali-Roman in deutscher Sprache: „Liebe und Tod auf Bali“ von Vicki Baum, erschienen 1937. „Die Literatur hat Bali seltsamerweise eher spärlich entdeckt. Im englischsprachigen, vor allem australischen Raum gibt es ab und zu Bücher, Romane, Geschichten, die dort angesiedelt sind, deutsche Autoren haben – mit einer Ausnahme – Bali bisher gemieden. Was dazu führt, dass nahezu alle Urlauber und Reisenden dasselbe Buch im Gepäck haben“, sagt Reichel.
Auch Amanda Hesse hat „Liebe und Tod auf Bali“ dabei, als sie mit Tochter Lena auf der Insel eintrifft. Amanda blickt gegen Ende ihrer mittleren Jahre auf eine frustrierende Ehe mit einem Despoten zurück, Lena, die an ihrer Promotion über mittelalterliche Palazzi in Norditalien arbeitet, blickt einem erfolglosen Berufsleben als Kunsthistorikerin entgegen. Die beiden Urlauberinnen haben vor, Landschaft und Kultur ebenso zu konsumieren wie das üppige Frühstücksbüffet im Hotel. Aber als gute Bildungsbürgerinnen sind sie doch anfällig für die Verheißung eines tieferen Einblicks in das ursprüngliche Bali.
Ein gewisser Diethelm Busche, von dem das Zitat eingangs stammt, stellt einen solchen in Aussicht. Irgendwie rutschen sie da rein: Amanda ist neuen Eindrücken nicht abgeneigt, Lena, die Jüngere aber weitaus Borniertere, lässt sich mitziehen. Die Frauen stimmen Busches Vorschlag zu, aus dem Touristenhotel ins Innere umzuziehen, in eine schlichte Unterkunft inmitten der Reisterrassen. Doch der Mangel an Komfort dort dämpft schnell ihren ohnehin halbherzigen Entdeckergeist. Und die Ruhe, die dort herrscht (bis auf das infernalische Geschrei der Hähne frühmorgens), muss man auch erst mal aushalten. Doch wie sich herausstellt, gehört all das längst zu einem Plan, den Busche Schritt für Schritt umsetzt: Lena soll ihm dabei helfen, ein verschollenes Gemälde von Walter Spies aufzuspüren.
Hier berühren sich die beiden Handlungsebenen des Romans zum ersten Mal: Auf der anderen Ebene – datiert um das Jahr 1935 – berichtet eine der historischen Figur Vicki Baum sehr ähnliche Ich-Erzählerin von ihrem Aufenthalt auf Bali und vor allem dem Anwesen von Walter Spies. Spies, ehemaliger Freund des Filmregisseurs Wilhelm Murnau, lebte seit 1927 auf Bali. Wie viele Künstler, Autoren, Intellektuelle der Zwischenkriegsjahre war er fasziniert von der lebendigen Kultur der Insel. Vicki Baums Besuch bei Spies ist historisch gesichert, die Geschehnisse, die sich im Roman – auf beiden Ebenen – allmählich (aber nicht nur) ins immer Unheilvollere entfalten, sind es wohl nicht, obwohl einige Figuren, etwa Walter Spies, tatsächlich ein tragisches Schicksal ereilt hat. Mehr zur Handlung zu verraten, verbietet sich hier – „Insel der Dämonen“ ist schließlich auch ein bisschen Krimi.
Reichel ist ein guter Geschichtenerzähler. Er versteht es, Bilder und Situationen zu entwerfen, die Neugier wecken und die Fantasie in Gang setzen. Seine Beschreibungen von Land und Leuten sind kundig und klischeefrei. Sein Blick ist nah an den Figuren, besonders in den Szenen, in denen sich Amanda und Lena in einer Art innerem Dialog unterhalten. Das macht den knapp 500-seitigen Roman kurzweilig und spannend.
Gut möglich also, dass auf den Liegen an den Hotelpools von Bali bald nicht mehr nur Vicki Baum gelesen wird.
Lothar Reichel: „Insel der Dämonen – Eine Geschichte von Liebe und Tod auf Bali“. Buchverlag Peter Hellmund, 24 Euro.