Mit ihren 90 Jahren seit dem 4. November ist Christine Baumann inzwischen die älteste Einwohnerin von Gaibach. Aber ihr Geist ist trotz des hohen Alters noch wach und rege. So kann sie sich noch gut an jenen Tag am Ende des Zweiten Weltkriegs erinnern, als Gaibachs Bürgermeister Georg Holtzwart auf den Hof ihrer Eltern in Gaibach kam und zu ihrem Vater Lorenz Gropp sagte: „In Öttershausen liegt ein toter Soldat. Kannst Du ihn mit dem Pferdewagen holen und zum Friedhof bringen?“ Der tote Soldat, das war definitiv der Unteroffizier der Luftwaffe Ludwig Josef Weninger. Daran besteht inzwischen kein Zweifel mehr.
Damit sind endgültig sich härtnäckig im Internet haltende Gerüchte widerlegt, wonach der aus Gunzenhausen stammende Kunstmaler „in den letzten Kriegstagen wegen Verweigerung eines Angriffsbefehls in Gaibach standrechtlich erschossen worden sei“.
Auf Bitten von Georg Holtzwart, damals Pächter des Graf von Schönborn'schen Hofgutes in Gaibach, spannte Lorenz Gropp die zwei Pferde vor den Kastenwagen und machte sich auf den Weg nach Öttershausen. Um ihm dabei zu helfen, den Leichnam auf den Wagen zu heben und am Friedhof wieder abzuladen, hatte er Sebastian Kelber mitgenommen. Der Schuhmacher, ein guter Bekannter von Lorenz Gropp, hatte zufällig auf dem Hof vorbeigeschaut und war von ihrem Vater daraufhin gebeten worden, mitzukommen, so Christine Baumann weiter. Die Tochter des Landwirts war es auch, die noch bis zu ihrem 80. Geburtstag regelmäßig die Blumen auf dem von der Gärtnerei Eichelmann angesetzten Soldatengrab Ludwig Weningers in der Nordwestecke des Friedhofs in Gaibach gegossen hat.
Schauspielerin kannte die Stelle
Der heute 90-Jährigen ist ebenso noch gegenwärtig, wie kurz nach dem Krieg Weningers Frau Gertrud nach Gaibach kam. Die Witwe, eine Münchener Schauspielerin, die der Kunstmaler am 17. Februar 1940 in Wasserburg am Inn geheiratet hatte, wollte dabei nicht nur wissen, wo ihr Mann begraben liegt, sondern vor allem, wo er am 11. April 1945 gefallen ist. Hierzu wurde sie an die Stelle des zum Gut Öttershausen gehörenden Wasserreservoirs geführt.
Hier in Sichtweite der Konstitutionssäule war Ludwig Weninger, nach Einnahme der umliegenden Ortschaften und auch des Guts Öttershausen, durch die US-Armee auf der Flucht von einem amerikanischen Soldaten erschossen worden. Dieser hatte auf dem Dach des Schüttbaus Posten bezogen und von dort das Feuer auf den Flüchtigen eröffnet.
Der uniformierte deutsche Landser hatte sich wohl tagsüber in einer der Scheunen im Stroh versteckt. Später versuchte er sich durch das Südtor aus dem Hofgut zu stehlen, um über freies Feld in Richtung Konstitutionssäule zu fliehen. Dabei wurde er von dem auf dem Dach Wache schiebenden GI entdeckt.
Weningers Hinterbliebene hatten nach Kriegsende zur Erinnerung an den im Alter von 40 Jahren am Kriegsende gefallenen Soldaten ein schlichtes, kleines Steinkreuz an seiner Todesstelle aufstellen lassen. Der damalige Gutsverwalter war zugleich gebeten worden, eine kleine Fläche um das Kreuz frei zu halten, was zu Zeiten der Hofbewirtschaftung auch beachtet wurde.
So stand das „Soldatenkreuz“, wie es in der Bevölkerung genannt wurde, jahrzehntelang an der Böschung des ehemaligen Wasserreservoirs, nur einen Steinwurf vom Gutshof entfernt. Zuletzt war es allerdings völlig von Hecken und Sträuchern eingewachsen.
Kreuz über Nacht verschwunden
Im Zuge der Abbrucharbeiten und der Abholzung des Bewuchses auf dem Wasserreservoir war das Kreuz entfernt und vom Schönborn'schen Gutsverwalter Klaus Warmuth in Gaibach erst einmal eingelagert worden. Nur der Sockelrest befand sich noch für kurze Zeit an der alten Stelle, bevor das Gelände komplett eingeebnet und in die Ackerfläche einbezogen wurde. Um die Pflege von Ludwig Weningers Grab auf dem Friedhof in Gaibach und die Aufstellung und Erhaltung des Kreuzes in Öttershausen kümmerte sich vor allem sein in München und später in Freising lebender jüngerer Bruder Hermann.
Ob Ludwig Weninger zum Personal des Fliegerhorstes Gerolzhofen gehörte – der Feldflugplatz befand sich im Zweiten Weltkrieg zwischen Zeilitzheim, Herlheim und dem Gut Wadenbrunn –, oder ob er mit versprengten Soldaten auf dem Rückzug durchgekommen ist, ist nach wie vor unklar. Sicher ist, dass die letzten deutschen Soldaten den Fliegerhorst wegen der vorrückenden US-Truppen exakt am 11. April, Weningers Todestag, verlassen hatten.
Es könnte aber inzwischen noch eine dritte, durchaus realistische Möglichkeit geben. Nach Aussage von Christine Baumann hatte eine auf dem Rückzug befindliche Nachrichtenkompanie an der Konstitutionssäule Halt gemacht, als die Amerikaner bereits in Würzburg einmarschiert waren. Die Funker bezogen mit ihren Geräten dabei teilweise auf der Aussichtsplattform der Konstitutionssäule Position.
Und als Mitglied einer Luft-Nachrichtenkompanie im Raum Bad Aibling-Mühldorf am Inn war Ludwig Weninger ab 31. August 1939 bei der Luftwaffe gemeldet . . .
Kontakt für Hinweise: Main-Post, Redaktion Gerolzhofen, Norbert Vollmann, Tel. (0 93 82) 97 20 55, E-Mail: red.gerolzhofen@mainpost.de
Ludwig Josef Weninger
Der Kunstmaler Ludwig Josef Weninger wurde am 2. Juli 1904 in Gunzenhausen geboren. Er war ein Vertreter der sogenannten Verschollenen Generation, des Expressiven Realismus sowie der Neuen Sachlichkeit. Seine Bilder verbinden expressionistischen Ausdrucksstil mit neusachlicher Formvereinfachung.
Bevor er ab 1923 zunächst in München Philosophie sowie Literatur- und Kunstgeschichte, und ab 1925 Bildende Kunst studierte, hatte er die Oberrealschule in Würzburg besucht.
Weninger gilt als bedeutender Schüler von Hans Hofmann. In dessen Malerschule für Bildende Kunst in München war er 1932 Assistent geworden.
Nach Hofmanns Emigration im gleichen Jahr – seine Kunst wurde von den Nazis als „entartet“ gebrandmarkt – führte Ludwig Weninger die weltweit bekannte Hofmann-Schule zusammen mit dessen Frau noch bis zu deren Schließung 1933 durch die Nationalsozialisten weiter.
Die von Hofmann nach seiner Emigration in die Vereinigten Staaten in New York gegründete Kunstschule hatte großen Einfluss auf die Entwicklung des Abstrakten Expressionismus.
Ludwig Weninger wurde im Rang eines Unteroffiziers der Luftwaffe am 11. April 1945 bei Öttershausen von einem amerikanischen GI erschossen. Er wurde 40 Jahre alt. Text: novo