Die Erinnerungen an die Kriegszeiten sind präsent. Das, was am Dienstag, 17. August 1943, passiert ist, ist im Gedächtnis eingemeißelt. Waltraud Orschel, damals neun Jahre alt, spielte mit ihren Puppen. Die Mutter arbeitete im Mainberger Weinberg, der Vater in Schweinfurt bei Kugelfischer. Als der Fliegeralarm ertönte, rannte sie mit ihrer Freundin in deren Haus – gegenüber des Mainberger Schlosses. Die Mädchen hörten das Brummen der Flieger, dann sahen sie, wie die Tiefflieger über das Schloss fegten.
„Wir hatten mächtig Angst und versteckten uns im Keller“, erzählt Orschel. Stunden später wagten sie sich hinaus. „Wir wussten nicht, was mit unseren Eltern geschehen war, hofften nur, dass sie am Leben waren.“ Als Orschel sich auf den Weg zum Elternhaus an der Mainleite machte, sah sie unzählige Menschen von Schweinfurt aus kommend Richtung Mainberg marschieren. „Die Leute flüchteten aus der Stadt. Es war furchtbar“, erinnert sich die 79-Jährige.
Ähnlich erging es der zwei Jahren älteren Mechthild Scheuring, die mit Waltraud Orschel zur Schule ging. „Ich verkroch mich zu unseren Nachbarn in den Keller, hatte große Angst und betete.“ Zum Glück kamen die Elternpaare heil nach Hause zurück. Von dem ersten Bombardement an kehrte keine Ruhe mehr ein. Gleich zwei Tage später gab es wieder Alarm, „es hieß, der nächste Angriff sollte kommen“, erinnert sich Scheuring. Ihre Cousine heiratete an diesem Tag, sie selbst war Brautmädchen. Es war ein Fehlalarm, „Die Angst war trotzdem da, auch wenn nichts passierte.“ So schliefen die Kinder komplett angezogen in ihren Betten, das Nötigste war in einen Rucksack gepackt.
Auch Waltraud Orschels Mann Manfred kann sich noch genau an den Tag vor 70 Jahren erinnern. Als 15-Jähriger befand er sich im zweiten Lehrjahr bei Fichtel & Sachs in Schweinfurt. „Wir versteckten uns in den Kellerräumen. Als ich wieder hinauskam, sah ich nur noch Schutt und Asche.“ Einige Mitarbeiter sind an diesem Tag ums Leben gekommen, sagt der 85-Jährige bewegt. Noch zweimal sollte Schweinfurt mit größeren Angriffen konfrontiert werden, am 14. Oktober 1943 und am 24. Februar 1944 im Rahmen der Big Week, bei der ausgewählte Ziele der deutschen Rüstungsindustrie anvisiert wurden.
Zum Teil versteckten sich die Mainberger bei drohenden Angriffen in einem Luftschutztunnel, der in den Jahren 1943/44 unter Schloss Mainberg entstanden sein muss, erzählen die Frauen. Schlossherr Willy Sachs habe diesen zum Schutz für seine Beschäftigten bauen lassen und auch den Mainbergern zugänglich gemacht, so Waltraud Orschel. Ihr Mann erinnert sich, wie er an seinen freien Wochenenden mit an dem Luftschutzbunker gegraben hat – so wie viele andere auch.
Kurz vor Kriegsende verbrachte Waltraud Orschel mehr als eine Woche im Tunnel unter dem Schloss. „Wir waren so um die 20 Leute in einer Kabine. Zu Essen hatten wir Brot und Konserven dabei.“
Wenn heute Feueralarm ertönt oder auch nur geprobt wird, schreckt die 79-Jährige hoch. Auf einen Schlag sind alle grausamen Erinnerungen da. „Man kann das nicht abstellen. Diese Zeit hat mich geprägt“, sagt sie und blickt nachdenklich. Sie erinnert sich, wie ihre Eltern ein Weinfass im Garten vergruben, „damit in der Nachkriegszeit was zum Tauschen da ist“, und wie bei einem der Angriffe ihr Haus beschädigt wurde.
Und sie hat noch wie damals die Stimme ihrer Oma im Ohr, die sagte: „Sie tun ihnen Unrecht. Die Juden sind gute Leut'.“ Erst nach dem Krieg habe sie wirklich verstanden, was die Großmutter damit meinte.