Mit einer musikalisch-literarischen Werkbetrachtung „Wort und Klang“ eröffneten Dekan Oliver Bruckmann, Andrea Balzer (Orgel) und Matthias Kügler (Klarinette) die Reihe der Begleitveranstaltungen zur Skulpturen-Ausstellung „Andreas Kuhnlein – SäulenHeiligeMenschen“ in der St. Johanniskirche. Zeigt Kuhnlein die Vergänglichkeit des Menschen, seine Zerrissenheit zwischen Streben und Scheitern, so sieht Bruckmann die Werke des Holz-Bildhauers als Theologe: „Also Mensch, denk nach: Willst du Narzisst sein, oder dich deinem Nächsten zuwenden, damit euch das Leben gemeinsam gelingt?“
Mit „Epitaph“ von Roland Leistner-Mayer für Klarinette und Orgel leiten Matthias Kügler und Andrea Balzer diese Stunde ein: Weite Melodiebögen in freier Tonalität klingen zwar in den Piano-Phrasen durchaus elegisch-meditativ, doch in den hohen Lagen der Klarinette dominieren Schärfe und Schmerz. Zur musikalischen Vorstellung der Skulptur „Narziss“ hat sich Kügler den „Monolog für Klarinette“ von Erland von Koch ausgesucht, eine sinnfällige Wahl. Gestaltet wie die große Kadenz eines Klarinettenkonzerts kann sich auch hier der Solist in all seinem virtuosen Können präsentieren: Meisterlich gestaltet Kügler den glanzvollen Auftritt des Narziss – kontrastreich, mit schnellen Läufen, Verzierungen, Spitzentönen. Bruckmann erzählt danach die Geschichte des selbstverliebten Jünglings in der edlen Sprache des römischen Dichters Ovid.
Die „Pieta“ stehe nicht umsonst unter der Sandsteinmadonna in der Turmkapelle der Kirche, betont Bruckmann: „Denn das Jesuskind im Arm der lächelnden Maria ist kein anderer als der geschundene und am Karfreitag zu Tode gemarterte Christus“. Dazu liest der Dekan die Szene der Kreuzablösung aus dem „Büchlein der ewigen Weisheit“ des mittelalterlichen Mystikers Heinrich Seuse: „Wo ist die Freude deiner Geburt? Stattdessen Angst, Bitterkeit, Herzeleid“.
Kügler leitet mit dem expressiven „Asceses No. 1“ von André Jolivet zu Kuhnleins Dreiergruppe „Törichte und kluge Jungfrau und Bräutigam“ über. Auch dies ein spannungsreiches Stück des französischen Avantgardisten, der seiner Musik, jenseits des tonalen Systems, die Kraft der Magie und Anrufung geben möchte. Das Gleichnis von den Jungfrauen frage, so Bruckmann, wie eine Gemeinde den Glauben durchhalten könne, bis der Herr komme, um alle Gläubigen zum endzeitlichen Fest einzuladen. Ein Text aus Luise Rinsers „Miriam“ erzählt diese Geschichte ausführlich, immer geprägt vom weiten Gottesbild der Schriftstellerin.
Wie ein befreiender Kontrast zu dieser auch bedrohlichen Galerie der hölzernen, sich auflösenden Mahnern erscheint das abschließende „Cityscape“ für Klarinette und Orgel des Amerikaners Keith Ramon Cole. Nach aller Vergänglichkeit, Zerrissenheit und Disharmonie, nach allem Momento mori ein pulsierendes, lebenssprühendes Stimmmungsbild einer Großstadt: Klangmalereien, Jazzanklänge und raffinierte Registrierungen an der Orgel, dazu elegante Melodien, ein beschwingter Rhythmus und ein Gershwin-Zitat an der Klarinette.
Die Ausstellung „SäulenHeiligeMenschen“ von Andreas Kuhnlein in der St. Johanniskirche und die Skulptur „Säulenheilige“ auf dem Vorplatz der Kunsthalle sind bis 6. November zu sehen.
Am 19. Juni und 14. August, 15 Uhr, Führungen durch die Ausstellung mit Oliver Bruckmann. Am 27. Juli, 19.30 Uhr,„Bin das nicht auch ich?“, Gespräche mit den Skulpturen mit Oliver Bruckmann. Am 21. September, 19.30 Uhr, findet ein Künstlergespräch statt. Finissage am 6. November, 12 Uhr.