Viel braucht es nicht, um die Welt zu verändern: einen Poeten und einen Schauspieler. Dies gilt besonders, wenn die Welt eine Bühne ist, eine Bühne wie im Haus des Kleinen Stadtheaters von Gerolzhofen. Keine Kulissen, keine Requisiten außer einem Stuhl gab es für den Würzburger Schauspieler Markus Grimm, der an diesem Abend Charles Dickens 1843 erschienene Erzählung „Eine Weihnachtsgeschichte“ als Ein-Mann-Stück aufführte.
Die Geschichte des sprichwörtlich gewordenen Geizhalses Ebenezer Scrooge und seiner Läuterung und Melioration durch das Erscheinen dreier Geister in der Weihnachtsnacht ist möglicherweise Dickens bekanntestes Werk. Es ist auch nicht eben arm an Personen, also könnte es so eine Sache werden, ein solch umfang- und personenreiches Stück solo aufzuführen. Doch Markus Grimm gelang es trefflich, jeder einzelnen Figur individuelles Leben einzuhauchen. So war der leicht gebückte, gebuckelte Mann mit den zusammengekniffenen Augen und der leicht kratzig-spöttischen Stimme, Ebenezer Scrooge, der etwas verschämte, der Verzagtheit trotzende, warmherzige Mann war Bob Cratchit, sein überarbeiteter, unterbezahlter Kontorist, der lebenslustige, fröhliche junge Mann Scrooges Neffe Fred.
In gelbliches Licht war die Bühne getaucht, gelblich wie Gaslicht, wie Kerzenlicht oder wie das Licht eines Weihnachtsbaums und gab auf der kleinen Bühne den Odem für reichlich bunte Bilder in den Köpfen des Publikums.
Auch Markus Grimm war mit seinem schlichten schwarzen Anzug und weißen Hemd eine perfekte Projektionsfläche für die Vorstellungskraft des Publikums. Denn so wie er den unterschiedlichen Charakteren durch Stimme und Positur Leben gab, so wurden sie auch durch seine Worte eingekleidet. Innerhalb kürzester Zeit hatte der Schauspieler sein 50-köpfiges Auditorium gepackt. Mucksmäuschenstill war es im Raum, als Grimm alias Scrooge mürrisch nach Hause stapfte und erschreckt an der (requisitär nicht vorhandenen) Tür den Kopf seines verstorbenen Geschäftspartners Marley zu sehen meinte. Auch das stellte nebenbei einen reizvollen Gegensatz dar, als der als phantasielos bezeichnetet Scrooge mit „unsichtbaren“ Requisiten wie Schlüssel und Tür hantierte und so die Phantasie des Publikums kitzelte.
Nein, Grimm schaffte es in der Tat, mit gekonnter Mimik, kleinen sowie wohlbedacht gesetzten großen Gesten ein gesamtes unsichtbares Ensemble entstehen zu lassen. Meisterlich beherrschte er das Spiel zwischen laut und leise, dem Langsam-Bedächtigen und dem Raschen, Flinken, zeigte bei Dingen wie dem leichten, unbeschwerten Tanz bei Scrooges Lehrmeister und dem Schweren wie die gewichtigen Ketten Marleys und dem Herabdrücken des Löschhuts des ersten Geistes auch deren Metabotschaft. Wunderbar plakativ stellte er das Weihnachtsfest bei der Familie Cratchit dar, die Eltern Cratchit, die sechs Kinder, unter ihnen der kranke „Tiny Tim“, die trotz relativer Armut ein schönes, frohes und immateriell reiches Fest feiern.
Starke Bilder und Gefühle entstanden, und die Zeit, sie flog nur so dahin. Und als Grimm nach zwei Stunden mit den Worten Tiny Tims „Gott segne uns und jeden ganz besonders“ schloss, da war wohl Freude und Aufatmen über die Wandlung Scrooges in der Zuhörerschaft, aber auch echtes Bedauern über das Ende eines kurzweiligen und intensiven Abends.
Übrigens: Schon in der Pause ließ sich die Begeisterung für Grimms facettenreiche Darstellung hören. Die Worte „einmalig“ und „phantastisch“ fielen nicht nur vereinzelt. Kein Wunder also, dass es für die restlos ausgebuchte Veranstaltung noch zwei weitere Sonder-Aufführungen gab.