Auch wenn Wilhelm Busch die Karriere eines akademischen Malers verschmäht und sich von dieser frühzeitig abgewandt hat, ist er dennoch durch seine Akademiebesuche geprägt. Schon während seines Maschinenbaustudiums 1854 bis 1858 in Hannover hat er die Zeichenklasse belegt. Dann wechselte er von dort an die Akademien in Düsseldorf, Antwerpen und schließlich München. Was er hier gelernt hat, das hat er sich für sein weiteres Schaffen durchaus bewahrt: Er war ein Zeichner von stupender Treffsicherheit und wusste seine Bildergeschichtengestalten selbst in den gewagtesten Verzerrungen anatomisch glaubwürdig vorzutragen. Darin war er allen voraus.
Dass er der malerischen Botschaft, die damals an den Akademien verbreitet wurde – sie bestand im neuen, lebhaften Kolorit, in dem dramatische Szenen der Historie abgewickelt wurden – nicht anhängen konnte, lag daran, dass er früh schon die alten Holländer gesehen und sich in ihre Malweise verliebt hatte. Lebenslang wurde er nicht müde, vor ihre Bilder zu treten und etwa das bäuerliche Genre als Inbegriff der Malkultur zu bestaunen, in den Galerien nicht nur von Düsseldorf und Antwerpen, sondern auch von Kassel, München oder Frankfurt. Denn das ungeschminkte dörfliche Leben, wie es der Niedersachse selbst zuhause erfahren hat, war es, was ihn fesselte. Nicht minder die niederdeutsche Landschaft, die arm an Sensationen, reich an diffusen Übergängen ist. Der jedem Idealismus abholde Student empfand sie als realistisch und wahr, wogegen ihn das Pathos und die hohle Dramaturgie der „Akademieschinken“ abstießen, nicht anders die Theatralik einer Landschaftsauffassung, die nur das Unerhörte und Besondere, nicht aber das Schlichte, Einfache gelten lassen wollte.
Das Fazit, das er zog, war, Malerei um ihrer selbst willen und nur für sich selbst zu betreiben. Nie hat er eine Ausstellung beschickt, nie einem Kunsthändler ein Bild überlassen. Er experimentiert nicht, ahmt nicht andere nach, folgt einzig dem ein für alle Mal gewählten niederländischen Vorbild. Das zeigt sich, wenn er seine Wiedensahler Stube malt (unten). Noch deutlicher verrät sich das Vorbild, wenn Busch sich zu einem historistischen Kostümbildnis entschließt (rechts). Dann sind Frans Hals' großzügige Auffassung, sein souveräner Pinselstrich als Vorbild zu spüren, wenn auch (Busch scheint das stets so empfunden zu haben) unerreicht.
Mehr und mehr ist es die heimatliche Flur Wiedensahls, die der Künstler durchwandert und in der er sieht, wie die Dächer der Katen halb im Boden versinken und Bauersleute aus ihm hervorzuwachsen scheinen. So kommt es zu handlungslosen Begegnungsbildern, die bis in die späten Jahre wiederkehren. Das menschliche Element drängt sich dabei nicht vor, es bleibt eingebunden in einen sich weit dehnenden oder weit überwölbenden Naturraum. Doch zunehmend erlischt für den Maler das Interesse am unmittelbar Vorgefundenen, sei's einer Landschaft, sei's der Menschen, sei es sonstiger Gegenstände. Indem er sich in seine Stube zurückzieht, entzieht er seinen Bildern mehr und mehr den konkret geschauten Landschaftsraum. So entsteht in den 1890er Jahren das Phänomen eines Spätstils, der es verdient, gesondert betrachtet zu werden. Kleine Landschaften der späten Jahre Ehe Busch 1898 seine künstlerische Produktion überhaupt einstellt, arbeitet er sich zu einer malerischen Höchstform empor, die erst von der Nachwelt in ihrer wahren Bedeutung erkannt wird. Noch in den Ausstellungen zu Buschs Nachlass, wie sie 1908/09 durch ganz Deutschland reisen, sind es mehr die Arbeiten der mittleren Jahre, worin noch der niederländische Einfluss spürbar ist, die die Öffentlichkeit bestaunt und in denen ihr Busch auch als Maler bewusst wird. Die „kleinen Landschaften“ scheint man eher als flüchtige Skizzen abgetan zu haben. Kein Wunder, denn für dieses Spätwerk ist damals selbst die Avantgarde noch kaum auf der Höhe. Voraussetzung für diese Spätstufe ist Buschs künstlerisches Eremitendasein. Seit Jahren hat er keine Kunstausstellung mehr besucht. Eine Fühlungnahme mit der Malerei der Zeitgenossen findet in den 1890er Jahren so gut wie nicht mehr statt. Er sitzt in seinen eigenen vier Wänden und malt dort ohne Augenzeugen einzig und allein zu seinem Plaisir. Hat er vorher noch die Landschaft mit dem Skizzenblock durchwandert und lebten seine Landschaftsmalereien noch aus den dabei empfangenen Eindrücken, so konzentriert sich der Künstler ab den 1890er Jahren immer mehr auf die winzige Malfläche eines Pappkartons, auf die er in einem Duktus herrlichen Ungestüms seine Farbfantasien entlädt und dabei den Galerieton der alten Holländer weit hinter sich zurücklässt. Dabei geht Busch zur Typusbildung über, indem er die immer gleichen Bildelemente variiert: links ein Waldrand, rechts die Öffnung zum Himmel (oder umgekehrt), einmal überwiegt das eine, einmal das andere. Die Detailkraft des Gegenständlichen tritt spürbar zurück und verliert sich schließlich in der heftigen Malbewegung. Es ist weniger Wiedergabe der Landschaft und ihrer geringen Staffage – einer Kuh, eines Rotjacken-Hirten – als vielmehr malerische Meditation, der Busch nun huldigt, Meditation freilich unter impulsivem Krafteinsatz. Auch in den anderen späten Landschaftsbildchen scheint es nur noch um den Malakt zu gehen, seine Rhythmen, die Strahlkraft der Pinselhiebe, die Spannung, die zwischen den hingebürsteten Farbpartien entsteht. Der Bildbau reduziert sich auf die Kontraste von Dunkel und Helligkeit, von Vordergrund und Bildtiefe. Zwar bleibt der landschaftliche Grundgedanke stets ablesbar. Aber die dabei transportierten Stimmungswerte verdanken sich nunmehr der Dramatik des Malvorgangs und dem von Mal zu Mal wechselnden Kolorit. Es ist verblüffend, welche Paletten, die es vorher bei Busch nicht gab, er nunmehr von Bild zu Bild erprobt, als wolle er noch einmal alle koloristischen Möglichkeiten durchspielen und vor Augen führen, was Steigerung bedeutet, ehe er den Pinsel für immer aus der Hand legt.
Hans Ries hält am Donnerstag, 9. Oktober, um 19 Uhr folgenden Vortrag im Museum Georg Schäfer: „Der öffentliche und private Wilhelm Busch. Ungewöhnliche Aspekte eines Genies.“