Der Einlass beginnt. Langsam füllen sich die Reihen. Auf der Bühne stehen viele leere Stühle. Ganz hinten links glänzen die beiden goldenen Harfen im Halbdunkel. Da erklingen sie: die ersten Akkorde als Vorgeschmack des Kommenden. Die ersten Töne von Bedrich Smetanas Nationalepos "Mein Vaterland" sind so bekannt, sie stimmen die Zuhörer ein auf das grandiose Landschaftsgemälde. Dieser Abend ist für die Bayerische Staatsphilharmonie aus Bamberg der Auftakt zu einer Reihe von Konzerten beim Prager Frühling, in Baden-Baden, Luzern, Innsbruck und Zürich, bei denen die Bamberger unter Leitung ihres amtierenden Chefdirigenten Jakub Hruša mit diesem Werk auf Tour gehen.
Es scheint sein Meisterstück zu sein: Mit diesem Werk feierte der junge tschechische Dirigent vor viereinhalb Jahren sein umjubeltes Debüt als Gast bei den Bamberger Symphonikern. Bald darauf wurde er ihr neuer künstlerischer Leiter. Auch an diesem Abend in Schweinfurt schenkte er dem Publikum eine großartige Interpretation aller sechs Sätze: Blicke auf die Burg hoch über Prag, der Moldau, die kämpferische Amazone Sárka, die liebliche Landschaft, die Berge Tábor und Blaník. Was hat diese Musik mehr als die beschwerliche Zuschreibung "Nationalepos", dass sie sich unter der Stabführung von Jakub Hruša erhebt über alle süßlichen und bedeutungsschweren Interpretationen? Arbeitet sie wirklich nur ein "Programm" ab, das Smetanas böhmischer Zeitgenosse Zelený in Worte gefasst hat? Klangbilder traditionsreicher Orte der böhmischen Geschichte, die Urort und Symbol gleichermaßen darstellen für diese Region im Herzen Europas darstellen.
Klänge die Geschichten erzählen
Hruša malt auch, seine Vorstellung von dem Sujet aber ist hell und klar, er wischt allen Nebel und alle Symbolik beiseite und entblättert den eigentlichen Kern. Er bringt die Szenerie zum Glänzen, beleuchtet und lässt die steinernen Zeugen und die Landschaften erzählen, ohne sie zu verbrämen. Vyšehrad erzählt von blutigen Kämpfen und rauschenden Festen. Die Moldau durchzieht im Frühlingsgrün die Landschaft, Sárka führt die rächende scharfe Klinge. Spielerisch und unbeschwert erblüht die böhmische Landschaft, herbe Schläge zeichnen die Religionskriege der Hussiten nach. Dabei klingen die Instrumente wie blank geputzt, wie befreit von einer matten Patina. Hruša dirigiert auswendig, "by heart", wie der Engländer sagt. Ja, es kommt von Herzen, was er tut. Ist es verkörperte und lebendig gewordene Geschichte, gelebtes Erbe gar? Wer "Mein Vaterland" bis dahin nur als Programmmusik abtat musste das Werk von diesem Abend an in sein Herz schließen, so unmissverständlich und zugetan setzte es der Dirigent um. Und die Musiker waren ebenso mit dem Herzen dabei, hatten ihre sichtbare Freude beim Spiel. Die musikalische Zusammenarbeit stimmte einfach. Da spielt es keine Rolle, dass das Schweinfurter Theater mit den 106 Musikern auf der Bühne an die Grenzen seiner akustischen Leistungsfähigkeit kommt. Es klang, als wollte der Raum an diesem Abend alles möglich machen, als öffneten sich die Seitenwände und machten Platz für den Blick in die offene Landschaft.
Am Ende nehmen Hruša und alle Musiker den überwältigenden, nicht enden wollenden Applaus entgegen. Mögen ihnen diese Glanzstunden auch an den übrigen Abenden ihrer Tournee gelingen.