Bascha Mika las in der Disharmonie aus ihrer Streitschrift „Die Feigheit der Frauen“ - und traf ins Schwarze. Frauen betreiben Schönfärberei und Selbstbetrug, ihre Selbstbestimmung versickert zwischen Selbstbeschränkung und Sandkasten, kurz: Frauen sind feige! Die Thesen der früheren taz-Chefredakteurin und Feministin fühlen sich an wie eine Ohrfeige. Dass sie wachrütteln, ins Schwarze treffen und auch Mut machen, zeigte die lebhafte, teils persönliche, teils polemisch politische Diskussion im Anschluss an die Lesung. An deren Ende stand die Aufforderung „wir Frauen brauchen ein Pfund Mut statt einer Tonne Ausreden“.
Rund 50 Frauen, zum Großteil um die 50 und eine Handvoll Männer sind der Einladung der ver.di-Bezirksfrauen in die Disharmonie gefolgt, um Bascha Mikas „Abrechnung mit den Frauen“, ihren „Wutschrei“ - wie Kritikerinnen Mikas neue Streitschrift „Die Feigheit der Frauen“ nennen - aus dem Mund der Autorin zu hören. Hier, von der schwarzen Bühne herab, verschont Mika ihr Publikum tatsächlich nicht mit Düsterem – dem „männerdominierten Misthaufen“, auf dem Frauen sich nach Jahrzehnten der versuchten Emanzipation befinden.
„Immerhin, seit den Fünfzigern dürfen sie den Führerschein machen, seit den Siebzigern ohne Erlaubnis des Mannes Konten eröffnen oder einen Beruf wählen, doch wenn sie glauben, sie seien dort angekommen, wohin sie einmal wollten, dann irren sie,“ sagt Mika. Zweidrittel der Frauen sind immer noch alleine für den Haushalt verantwortlich. Nur fünf Prozent der Väter mit Kindern unter 18 arbeiten in Teilzeit – aber 75 Prozent der Mütter. Um 23 Prozent klafft die Lücke der Gehälter zwischen Frauen und Männern.
Nein, sie leugne nicht die „mistigen“ gesellschaftlichen Strukturen, sagt Mika, als ob sie der immer gleichen Kritik zuvorkommen möchte, „doch an diesen Strukturen haben wir 40 Jahre lang gearbeitet und nichts erreicht!“ Tausend Mal diskutiert, tausend Mal ist nichts passiert.
Mika zückt die Brille, schlägt ihr Buch auf und kommt auf ihr eigentliches Anliegen zu sprechen, auf die zweite Seite der Feminismus-Medaille: den privaten Bereich, die Verantwortung der Frauen, ihr Handeln. Mit plastischer Sprache, wütenden Worten und samtig ruhiger Stimme erzählt sie von „Eva, Ende 30, Abitur, Banklehre, ein Mann, zwei Kinder, ein mittelgroßer Hund und ein mittelgroßer Garten am Reihenendhaus. Sie ist zufrieden, sagt sie. Hat ihren Job zugunsten der Karriere des Mannes aufgegeben. Doch eigentlich hat sie sich ihr Leben mal anders vorgestellt. Aber es wäre ja nicht anders gegangen. Es hat sich einfach alles so ergeben.“ (Ein leises, zustimmendes, aber bedrücktes Räuspern aus dem Publikum).
„Sie hocken in der Falle und betreiben ihre eigene Vermausung“
Bascha Mika über einen Typ Frau
Mikas schonungslose Sätze schwingen weiter, klingen leicht und schwerelos. Auch dann wenn sie von „Eva und Millionen anderer Frauen spricht, die ihre Wünsche in die Flasche gestopft, zugekorkt und auf die Reise geschickt haben, damit sie von ihnen nicht mehr belästigt werden“. Wenn sie fragt:„Was ist passiert mit Eva und Millionen anderer Frauen? Sie hocken in der Falle und betreiben ihre eigene Vermausung.“ Wenn sie diagnostiziert: „Eva, auf deren Wunschliste Eigenständigkeit und finanzielle Unabhängigkeit stand, lässt ihr Leben Zerkrümeln zwischen der Zuneigung zu ihrem Mann und den Bedürfnissen der Kinder“ (leiser Applaus).
Natürlich, Mika, die Feministin, verschont die Männer nicht: „Sie haben uns Frauen ausgetrickst und abgewatscht, mit falschen Versprechen gelockt und mit Kind und Küche alleine gelassen. Sie kassieren die hohen Löhne, bezahlen bar, wir mit unserer Freiheit, bestimmen die politische Agenda, haben gläserne Decken eingezogen und lassen uns gekonnt auf dem Spielplatz stehen“ (raumfüllender Applaus).
Doch Mika belässt es zunächst bei diesem Geschlechtertheater, wie sie es selbst nennt. Und schlägt ihr letztes Kapitel auf: „Das Kribbeln – zum Schluss“ macht Mut. Weil es im Privaten ansetzt, nicht oben, im Berufsleben, wo die Luft eh sehr dünn ist. Weil es Lösungen aufzeigt, in einem Bereich, in dem Frauen wirklich Wahlmöglichkeiten haben. Statt Angst vor der Freiheit zu haben, sollten Frauen dort die Lust an Neuem entwickeln. Statt sich – aus Angst vor Verlust und Einsamkeit – in die Tradition zu flüchten, sollten sie erfahren, dass sie etwas bekommen, wenn sie ihre Angst besiegen. Nämlich Unabhängigkeit – vor allem finanzielle, die sie dringend brauchen, um ihre Kinder ernähren, einen sinnstiftenden Beruf ausüben zu können und um nicht in der Altersarmut zu landen. „Schon lange wissen wir, dass das Private politisch ist – aber das Politische ist eben auch privat“, sagt Mika und fordert auf, dort Macht auszuüben, wo Frauen, sie haben, „dann werden unsere persönlichen Entscheidungen gesellschaftlich relevant“.
Dann etwa, wenn Frauen von ihren Partnern verlangen, Haus- und Elternarbeit gleichberechtigt zu teilen, Elternzeit zu nehmen, genauso lange wie sie, Teilzeit zu arbeiten. Dann etwa, wenn Frauen sich zurückziehen aus den schlecht bezahlten „Frauenjobs“ im Pflege- und Erziehungsbereich. Wer wird dann die Kinder im Kindergarten betreuen? Wer wird die Männer pflegen, wenn sie ans Bett im Altersheim gebunden sind? Wer wird den Erfolg der Unternehmen garantieren?
Einer der Männer im Publikum nimmt den Ball auf: „Auch in der Kirche wird sich nichts ändern, wenn wir darauf warten, dass der Papst die Strukturen ändert.“ Binnen von Minuten ist die Diskussion in vollem Gange – mal politisch, wenn es darum geht, wer Schuld daran sei, dass Frauen sich in die Komfortzone der Familie zurückziehen: Helmut Kohl, der Neoliberlismus, die Erziehung oder doch die Gene ? Sie ist persönlich, wenn Frauen sehr offen von den Brüchen in ihrer Biografie erzählen. Von den harten Kämpfen um Gleichberechtigung in der Partnerschaft, von der harten Arbeitswelt, der Mehrfachbelastung als Mutter.
„Schade“, findet eine der Zuhörerinnen, „dass wir uns so einig sind. Wo sind die jungen Frauen, die denken, sei hätten sich modern eingerichtet, tatsächlich aber tiefer in alten Rollen leben als wir Mütter?“ „Denen geben Sie das weiter, was Sie heute gehört haben“, schlägt Mika vor. Und zwar: Anfangen, Verantwortung zu übernehmen, „denn die nimmt uns kein Mann ab“. Anfangen, das „Leben von hinten her zu denken“, es zu planen statt von Männern entscheiden zu lassen. Anfangen, Mut aufzubringen, „denn der ist lernbar!“ Foto: Laszlo Ruppert