Für die Skeptiker steht fest: Hätten die Rheintöchter in Richard Wagners „Rheingold“ den nicht gerade besonders attraktiven Zwerg Alberich nicht so schmählich behandelt, sondern sich mit ihm der Lust oder gar der Liebe hingegeben, wären der Welt die restlichen dreizehn Stunden Gesamtkunstwerk erspart geblieben, nicht aber der realen Welt die Götterdämmerung. Dazu gibt es viel zu viele Alberiche auf diesem Planeten.
Auch Loriot beginnt seinen „Ring an einem Abend“ (uraufgeführt 1992) mit der Frage nach dem „Was wäre aus dem Zyklus geworden, wenn die Rheintöchter Alberich nicht so gnadenlos vorgeführt hätten?“ Vicco von Bülow brachte mit seiner Erzählung und Kommentierung des Rings, mit ausgewählten musikalischen Passagen, Laien wie Kennern Wagners Hauptwerk auf ganz besondere Weise nahe. Auf den Bühnen des Landes wird dieser auf knappe drei Stunden verkürzte Ring für Eilige und für Anfänger immer wieder gerne konzertant aufgeführt.
Nun hat im Großen Haus des Meininger Theaters der Berliner Theater- und Filmschauspieler Jörg Gudzuhn Loriots Aufgabe als Erzähler übernommen, sitzt dabei, wie einst der große Meister, in einem schlichten Lehnstuhl, hinter ihm die Meininger Hofkapelle unter GMD Philippe Bach in ihrer größtmöglichen Besetzung und neben ihm vier Sängerinnen und fünf Sänger: Sonja Freitag, Camila Ribero-Souza, Rita Kapfhammer, Rebecca Teem, Roland Hartmann, Antonio Yang, Daniel Szeili, Scott MacAllister und Ernst Garstenauer.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie Loriot mit seiner humorvollen, geistreichen, aber nie parodistischen oder gar herabwürdigenden Erzählung den Menschen einen respektvollen, etwas anderen Blick auf Wagners Werk ermöglicht. Oder hat schon einmal jemand jemanden bei Wagner im Publikum in einem Moment lachen und im nächsten ergriffen der Musik und dem Gesang lauschen hören? Nur Loriot schafft diesen Spagat zwischen Seriosität und Augenzwinkern. Man denke nur an den allerheiligsten Ernst mit dem 2001 Christine Mielitz, dank der kollektiven Demut, Opferbereitschaft und Fähigkeit der Meininger, den „Ring des Nibelungen“ stemmte. Hört man nun die Klänge der wohldisponierten Meininger Hofkapelle, glaubt man ein Echo aus dieser Zeit zu vernehmen.
Aber nur ein leises. Denn zum einen ist der Zauber ja schnell vorbei. Zum anderen kann selbst der ergriffenste Gesang der Künstler, die direkt an der Bühnenrampe stehen und mit gebremster Spielmimik in den Saal hineinsingen, keine Gesamtkunst zum Leben erwecken. Dazu müsste man schon mit Haut und Haar ins Geschehen gezogen werden.
So ergötzen wir uns am Klang der Hofkapelle, die Wagners Tonuniversum in jeden Winkel des Hauses trägt. Er führt uns, wenn wir die Augen schließen, von den wogenden Wagalaweias der Rheintöchter, durch die Niederungen des Irdischen zu den anarchischen Zuständen in der Götterwelt, bis ans Ende der Zeit und den Anfang der Unschuld, in der bereits die neue – noch schrecklichere Zeit – keimt. Die Sangeskünstler singen mit Inbrunst in allen Tonlagen, mit beeindruckendem Stimmvolumen und großer Stimmsicherheit. Trotzdem sind sie, umzingelt von dem riesengroßen Klangkörper, kaum verständlich. Wagnerianer, die die Texte nahezu auswendig kennen, mögen damit zurecht kommen. Neulinge jedoch müssen sich auf die gefühlten und wahrlich gefüllten Stimmungen verlassen, die die Stimmen transportieren.
Derweil sitzt Jörg Gudzuhn auf seinem Stuhl und setzt mit zurückgenommener aber kräftiger Stimme die Loriotschen Erkenntnisse an die richtigen Stellen. Immer wieder ertönt zustimmendes und befreiendes Gelächter aus dem Saal, bevor das Unheil seinen Lauf nimmt und einem der dramatische Sopran Rebecca Teems mit Brünnhildes letztem Gesang den Atem raubt, wenn es nicht schon vorher die Trauermusik zu Siegfrieds Tod getan hat. Leider verschwindet das gute Stück nach drei Aufführungen schon wieder im Orkus der Geschichte. Siggi Seuss
Nächste und letzte Vorstellung: 30. September, 19.30 Uhr. Kartentelefon: Tel. (0 36 93) 45 12 22. Internet: www.das-meininger-theater.de