Ihr einziges „Verbrechen“ besteht darin, weiter an Gott zu glauben statt an Adolf Hitler. Die Nazis wollen aber den ganzen Menschen. Denunziation, Bespitzelung und fadenscheinige Gründe führen zunächst zur Verhaftung der „Staatsfeinde“ durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) und schließlich ohne Gerichtsverhandlung zu ihrer Verschleppung ins Konzentrationslager (KZ) Dachau. Hier wohnen sie im Priester-Block auf derselben Stube.
Hermann Scheipers trägt die Häftlingsnummer 24 255 bei seinen Vorträgen, wie unlängst in Münsterschwarzach, noch heute am Revers. Er überlebt die Hölle auf Erden. Georg Häfner, der Gefangene Nummer 28 876, nicht. Er stirbt 1942 in Dachau. Am 15. Mai wird der Oberschwarzacher Pfarrer als Märtyrer durch die katholische Kirche im Würzburger Dom seliggesprochen.
Sowohl Scheipers, der junge Kaplan aus Westfalen im Bistum Dresden-Meißen, als auch Pfarrer Häfner durchleiden in Dachau wie viele andere katholische Priester Hunger, Krankheit, Folter, seelische Grausamkeit und körperliche Misshandlung. Immer wieder werden Mitbrüder erschlagen, vergast, sterben an Hunger, Epidemien und anderen Folgen der Haft oder sie kommen durch medizinische Menschenversuche zu Tode. Dennoch erfahren in dieser gottlosen Welt Priester wie Häfner mehr denn je Gott. Hermann Scheipers: „Gerade in diesen Bedrängnissen ist mein Glaube gewachsen. Dadurch habe ich überlebt.“
Davon und wie er Georg Häfner erlebt hat, berichtet Scheipers in Münsterschwarzach. Er fesselt Schüler und Journalisten gleichermaßen. Die Vorbereitungen auf das Szenische Oratorium, das das Egbert-Gymnasium anlässlich Häfners Seligsprechung in Kürze aufführen wird, haben ihn als Vortragsredner ins katholische Frankenland geführt.
„Ihr seid ehrlos, wehrlos und rechtlos. Ihr sollt hier arbeiten oder verrecken.“ Mit diesen Worten begrüßt der Lagerkommandant den 27-jährigen Häftling Scheipers am 28. März 1941 im Konzentrationslager Dachau. Dem 41-jährigen Georg Häfner dürften am 12. Dezember 1941 die gleichen Worte zum „Empfang“ entgegengebrüllt worden sein. Beide haben sich im Gefängnis von den Nazi-Schergen nicht „weichkochen“ lassen. Dafür müssen sie jetzt büßen.
Als kleinen, brutalen Vorgeschmack hagelt es von den SS-Wächtern für den Neuankömmling Georg Häfner erste brutale Schläge und Tritte. „Als Pfarrer Häfner in Dachau ankam, fielen zwei Posten über ihn her, und schlugen ihn ins Gesicht, dass er aus dem Mund blutete“, berichtete der Alslebener Pfarrer August Eisenmann. Häfner wird zudem im Zugangsblock von Funktionshäftlingen, in der Regel Kommunisten, die von der Lagerleitung im Rahmen der Selbstverwaltung eingesetzt werden, als „Pfaffe“ verprügelt und gequält, so Scheipers.
In Häfners Brief vom Tag seiner Einlieferung ins Konzentrationslager heißt es: „Es waren schon schwere Tage, die ich bis jetzt habe mitmachen müssen, und wünsche sie nicht meinem größten Feind.“
Scheipers kennt Häfner gut. Sie wohnen im Block 26 nicht nur in derselben Baracke, sondern auch auf der gleichen „Stube“, der mit der Nummer 3. Über 50 Priester sind auf engstem Raum zusammengepfercht. Mit den meisten anderen Priestern arbeitet Häfner auf der „Plantage“, einer ans KZ angrenzenden Gartenbauanlage. Mit der Zucht von Heil- und Gewürzkräutern oder der Gewinnung von Vitamin C aus Gladiolen will die SS die Abhängigkeit von Importen verringern. Mit der Begründung, es handele sich nur um „leichte Gartenarbeit“ kürzt die Lagerleitung die Essensrationen für dieses Arbeitskommando. Die Geistlichen sollen ausgehungert werden. Sie leiden vor allem unter der Streichung der ohnehin kargen 10-Uhr-Brotzeit. Ein Mittagessen gab es schon zuvor auf der „Plantage“ nicht.
Georg Häfner ist kein Volks- und Erfolgspfarrer. In Oberschwarzach wird er als introvertiert, bescheiden und von tiefer Frömmigkeit beschrieben, aber auch häufig als übereifriger und sehr strenger Pfarrer mit menschlichen Schwächen, dem im Religionsunterricht schon mal die Hand als damals nicht unübliches Mittel der Züchtigung ausrutscht. Als sensiblen, tieffrommen Priester, der die Gefangenschaft als Opferweg, als Sühne für sich und seine Pfarrgemeinde und als Christusnachfolge versteht, so lernen ihn die Mitgefangenen im KZ kennen.
Trotz der seelischen und körperlichen Strapazen versucht Häfner acht Monate lang durch regelmäßige Briefe an seinen Kaplan Hans Haun in Oberschwarzach und andere die Seelsorge in der Pfarrei weiter zu betreiben. In den zensierten Zeilen kommt die Sorge um die Seinen in der Pfarrei und die Hoffnung auf seine „Freiheitsnachricht“ zum Ausdruck.
Die Unterernährung führt 1942 dazu, dass das große Sterben unter den Priestern einsetzt. Hermann Scheipers: „Der Hunger war fürchterlich.“ Auch Häfner erwischt es. „Im Lager fühlte er sich dauernd von starkem Hunger geplagt, schon im Winter 1941/42“, so der Alslebener Pfarrer August Eisenmann. Pfarrer Hermann Dümig, ein Mitgefangener aus der Diözese Würzburg, erinnert sich 1986: „Pfarrer Häfner schleppte sich mit letzter Kraft täglich zur Plantage, bis ihm die Füße dick anschwollen und das Herz versagte.“
Im August verschlechtert sich Georg Häfners Gesundheitszustand rapide. Das „Hungergespenst“ hatte ihn erfasst, wie Pater Sales Heß aus der Benediktiner-Abtei Münsterschwarzach nach dem Krieg berichtet. Füße, Hände und Kopf zeigen Schwellungen. Häfner bekommt die sogenannte Phlegmone, eine häufig in Dachau auftretende Infektionskrankheit mit sich ausbreitenden eitrigen Entzündungen der Haut. Zum Schluss sind seine Augen tief eingeschwollen. Georg Häfner ist vom Tod gezeichnet. Am 20. August 1942, angeblich um 7.20 Uhr, schließt er für immer seine Augen. „Er ist wohl ganz einsam gestorben“, so Pfarrer Eisenmann.
Hermann Scheipers ist davon überzeugt, dass Häfner vielleicht hätte überleben können, wenn er sich wegen eines Geschwürs nach dem morgendlichen Zählappell krank gemeldet hätte. Offenbar habe er Angst davor gehabt, vom Krankenrevier auf den Invalidenblock verlegt zu werden. Denn jeder wusste, dass wer dort landete, zur Vergasung nach Hartheim in Österreich gebracht wird. So habe Häfner dann am Abend weinend vor Schmerzen am Tisch gesessen, als er ihn das letzte Mal gesehen habe, so Scheipers.
Die letzte Möglichkeit wäre noch gewesen, dass der „Stubenälteste“, einer der überzeugten kommunistischen Funktionshäftlinge, Häfner am Abend ins Krankenrevier begleitet hätte. Doch habe es der wohl nicht riskiert, „wegen eines Pfaffen“ seine privilegierte Stellung zu verlieren oder es habe ihm am Mut gefehlt, meint Scheipers. So ist Häfner in der Nacht gestorben.
Pater Sales Heß umschreibt Häfners Priesterleben im Rahmen des üblichen kurzen Nachrufs beim Seelengottesdienst in der KZ-Kapelle mit den zwei Worten „Sacerdos et hostia“, sprich Häfner sei in seiner Gemeinde Priester und Opferlamm gewesen. Am 22. August 1942 reisen Domkapitular Heinrich Leier und Häfners Vater Valentin nach Dachau, um den Toten nochmals zu sehen.
Vier Wochen später trifft Häfners Urne in Würzburg ein. Am Freitag, 18. September 1942, wird sie im Würzburger Friedhof beigesetzt. Dass es sich in der Tat um Häfners Asche handelt, glaubt niemand so recht. Der Kirchschönbacher Pfarrer Dr. Hans Stadler schreibt sieben Jahrzehnte vor Georg Häfners Seligsprechung als Märtyrer fast prophetisch in sein geheim geführtes „Kriegstagebuch“: „Aber mochte die Urne was immer enthalten, sie war in diesem Augenblick das Symbol seines Märtyrertodes.“
Hermann Scheipers
Geboren 1913 in Westfalen, wird der junge Theologe nach dem Studium in Münster 1937 in Bautzen zum Priester geweiht. 1940 lassen ihn die Nazis verhaften. Er hat mit polnischen Zwangsarbeitern in deren Muttersprache die heilige Messe zelebriert. Nach über einem halben Jahr im Polizeigefängnis Leipzig kommt der junge Kaplan aus dem Bistum Dresden-Meißen ohne Gerichtsverhandlung ins Konzentrationslager Dachau.
Mehrfach entrinnt er hier nur knapp dem Tod. Im August 1942 rettet ihn seine Zwillingsschwester Anna vor der Vergasung. Ihr Bruder hatte sie durch eine verschlüsselte Botschaft in einem Brief über seine lebensbedrohliche Lage informiert. Im April 1945 gelingt Scheipers auf einem der Evakuierungsmärsche kurz vor der Befreiung des Lagers die Flucht. Er kehrt zurück in den Osten und damit in die nächste Diktatur: Unter dem SED-Regime wirkt er nun als Geistlicher im Bistum Dresden-Meißen. Er fühlt sich dort besonders wegen der vielen Heimatvertriebenen nach dem Krieg in der Sowjetischen Besatzungszone gebraucht. Von 1946 bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand im Jahr 1983 bleibt sein Leben eine Gratwanderung. Auch in der DDR fällt er, obwohl „ein Opfer des Faschismus“, bei den Machthabern in Ungnade. 15 Spitzel setzt die Stasi auf ihn an. 2003 ernennt Papst Johannes Paul II. Scheipers zum Päpstlichen Ehrenprälaten. Heute wohnt der letzte lebende deutsch sprechende Gefangene aus dem Priesterblock in Dachau wieder in seinem Geburtsort Ochtrup. Über die Seligsprechung von Häfner ist der 97-Jährige sehr erfreut, sei doch dessen Leben praktisch ein Abbild seines eigenen. Text: Novo