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SCHWEINFURT: Möglicher Sog: Wie gefährlich sind vorbeirauschende Züge?

SCHWEINFURT

Möglicher Sog: Wie gefährlich sind vorbeirauschende Züge?

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    Entsteht hier ein Sog? Bei vorbeirauschenden Zügen sollte immer ein Sicherheitsabstand eingehalten werden.
    Entsteht hier ein Sog? Bei vorbeirauschenden Zügen sollte immer ein Sicherheitsabstand eingehalten werden. Foto: Foto: Nicolas Bettinger

    Es ist kurz vor 23 Uhr in der Nacht von Freitag auf Samstag. Hans Schwinger ist auf dem Weg zum Schweinfurter Hauptbahnhof. Er will seine Tochter abholen. Auf Gleis 6 angelangt, ahnt er nicht, was in den nächsten Augenblicken geschehen wird. Aus dem Nichts rast ein Güterzug ohne Ankündigung ungebremst durch den Bahnhof. So schildert es zumindest Hans Schwinger. „Der durchfahrende Zug bewirkte einen solchen Sog, dass ich und neben mir stehende Personen sehr stark erfasst wurden“, erinnert sich der 79-Jährige.

    „Wir mussten uns schnell an festen Objekten festhalten“, sagt Schwinger und erinnert sich an ein Bahnhäuschen, an das er sich klammerte. Er habe einen Sog zum Zug hin gespürt, obwohl er drei Meter vom Bahnsteig entfernt stand. Selbst jüngere Leute hätten sich festgehalten, um nicht in den Zug hineingezogen zu werden, erzählt der Rentner. Schwinger wolle sich gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn ein Kinderwagen oder gar ein Kind in der Nähe des vorbeifahrenden Zuges gestanden hätte. Doch ist ein Zug trotz Einhaltung des Sicherheitsabstandes wirklich gefährlich?

    Keine Warndurchsagen

    Die Deutsche Bahn hat klare Sicherheitsvorgaben. Diese besagen, dass es erst warnende Lautsprecherdurchsagen geben muss, sobald die Züge beim Durchfahren eines Bahnhofes eine Geschwindigkeit von 160 km/h oder mehr erreichen. „Im Schweinfurter Hauptbahnhof gibt es keine Züge, die schneller als 160 km/h fahren, daher auch keine Warnansagen“, so ein Bahnsprecher. Im gesamten Bereich Unterfranken sei dies ebenso nicht der Fall.

    Die Deutsche Bahn verweist zudem auf die weißen Sicherheitslinien, die einen Sicherheitsabstand bis zu den Schienen aufzeigen. Der Aufenthalt außerhalb dieses Gefahrenbereichs gewähre grundsätzlich die erforderliche Sicherheit. Dreieckige, gelb-rot-schwarze Warnschilder würden zusätzlich auf den Zweck der weißen Linie hinweisen. Die Frage nach einem möglichen Sog durch einen vorbeirauschenden Zug, bleibt vom Bahnsprecher jedoch unbeantwortet.

    „Dann ist die Hölle los“

    Stattdessen betont er weitere Sicherheitsmaßnahmen. „Die Deutsche Bahn hat sowohl weiße Linien, als auch Warnschilder an allen Bahnsteigen angebracht, an denen Züge mit mehr als 80 km/h fahren, so auch in Schweinfurt.“ Damit würden Maßnahmen ergriffen, die über die Bestimmung der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) hinausgingen. Doch wie konnte Hans Schwinger trotz der Sicherheitsvorkehrungen an den Zug herangezogen werden?

    „Hätte ich mich nicht festgehalten, wäre ich gestürzt“, sagt Schwinger. Der Sog habe ihm regelrecht die Füße weggezogen. „Klar ist das jetzt nichts weltbewegendes, aber wenn ein echter Unfall passiert, dann ist die Hölle los“, so Schwinger. Gleichwohl gibt der 79-Jährige zu, nicht mehr der Fitteste auf den Beinen zu sein. Dass allerdings auch junge Menschen ins Schwanken gerieten, mache ihn nachdenklich. Wenigstens Lautsprecherdurchsagen wünscht er sich.

    Physiker: Zug zieht Luftpolster mit

    Trifft die Deutsche Bahn nun zu wenige Sicherheitsvorkehrungen oder hat sich Hans Schwinger gar geirrt? Die Antwort findet sich vielleicht in der Physik. Holger Walter ist Professor an der Fakultät Angewandte Natur- und Geisteswissenschaften der FHWS und lehrt dort Physik. Er hat sich die Situation vor Augen geführt und bemerkt: „Es besteht insbesondere dann die Gefahr, an den Zug herangezogen zu werden, wenn man den Sicherheitsabstand nicht einhält.“

    Allerdings betont er auch, dass der Aufenthalt hinter der Sicherheitslinie in 99,99 Prozent der Fälle ungefährlich sei. Nur unglückliche Umstände, wie eine Windböe von hinten, könnten den Sog des Zuges gefährlich werden lassen. Grundlage der Sogwirkung sei der sogenannte Bernoulli-Effekt. Demnach ziehe ein fahrender Zug ein Luftpolster mit sich. Die Strömungsgeschwindigkeit der Luft nehme mit zunehmendem Abstand vom Zug immer mehr ab. Diese mitgezogene Luft hätte also eine höhere Geschwindigkeit an der Vorderseite eines Menschen, als an dessen Rückseite.

    Sicher ist sicher

    Dieser Geschwindigkeitsunterschied bewirke einen Druckunterschied und könne dazu führen, dass Gegenstände oder auch Menschen an den Zug herangezogen würden. Bei den gegebenen Geschwindigkeiten und bei Einhalten des Sicherheitsabstands ist dieser Druckunterschied allerdings klein und deshalb hält es Walter für unwahrscheinlich, dass ein erwachsener Mensch, diesem Sog nicht standhalten könne.

    Wichtiger sei, dass in dieser Berechnung noch keine realistische Luftströmung berücksichtigt wurde. In Wahrheit wirbele die Luft turbulent hin und her und schiebe einen Menschen tendenziell erst von einem vorbeirasenden Zug weg und dann wieder zu ihm hin. Die dabei auftretenden Kräfte können deutlich größer als die eigentliche Sogwirkung sein. Der Physiker rät deshalb dazu, lieber etwas weiter von der Sicherheitslinie weg zu gehen. Hans Schwinger hat seine Tochter jedenfalls unbeschädigt vom Gleis abgeholt. Gefährlich findet er die Regelungen der Bahn dennoch.

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