Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Schweinfurt
Icon Pfeil nach unten
Stadt Schweinfurt
Icon Pfeil nach unten

Nancys langer Weg ins Leben

Stadt Schweinfurt

Nancys langer Weg ins Leben

    • |
    • |
    19. Juni 2015: Die Ärzte leiten die Geburt ein. Die einzige Rettung für Mutter und Kind.
    19. Juni 2015: Die Ärzte leiten die Geburt ein. Die einzige Rettung für Mutter und Kind. Foto: Familie Kleren

    Wie sie da so in den Armen ihres Papas Matthias Kleren schläft, würde keiner denken, dass die kleine Nancy schon fünf Monate alt ist. Eher drei, so klein und zierlich wie sie ist. Aber das käme ja auch ungefähr hin, denn eigentlich hätte Nancy am 3. September auf die Welt kommen sollen. Stattdessen kam sie am 19. Juni – elf Wochen zu früh. Sie ist damit eines von jährlich 60 000 Frühgeborenen in Deutschland. Jedes zehnte Kind hierzulande ist ein Frühchen, kommt also vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche auf die Welt. Zum heutigen Weltfrühchentag haben Nancys Eltern ihre Geschichte erzählt.

    Dass die Kleine jetzt so gesund und friedlich vor sich hin träumen kann, hat sie und ihre Familie viel Kraft gekostet. Matthias Kleren und Kerstin Denner-Kleren aus dem Münnerstädter Ortsteil Althausen sind ins Café des Leopoldina-Krankenhauses in Schweinfurt zum jährlichen Elterntreffen von „Harl.e.kin“ gekommen. Das Angebot der Leo-Kinderklinik und der Caritas-Frühförderstelle unterstützt Eltern von früh- und risikogeborenen Kindern, nachdem sie das Krankenhaus verlassen haben.

    Bis zur Entlassung nach neun Wochen Klinik war es für die Klerens ein langer Weg, der mit einer massiven Schwangerschaftsvergiftung von Mutter Kerstin begann. Bis dahin war alles normal verlaufen, Nancy ist schon das dritte Kind der 43-Jährigen. Ein Nachzügler, die beiden Schwestern sind elf und 19 Jahre alt. Der Körper der Mutter begann irgendwann, sehr viel Wasser einzulagern, der Blutdruck spielte verrückt, schnellte in die Höhe. Die Diagnose lautete „HELLP-Syndrom“, es tritt laut eines Betroffenenvereins nur bei ein bis zwei von 300 Schwangerschaften auf.

    „Ich bin Mittwoch in die Klinik und dachte noch, es wird schon gehen“, erinnert sich Kerstin Denner-Kleren. Doch am nächsten Tag ging es ihr immer schlechter. „Ich habe gespürt, ich schaffe es nicht, es stimmt was nicht.“ Ihr Mann sagt, es war eine sehr kritische Situation, für seine Frau und für das Baby. So kritisch, dass die Ärzte schließlich entschieden, Nancy zu holen.

    Der Polizeibeamte Matthias Kleren lässt auf der Arbeit alles stehen und liegen. „Ich hab nur die Waffe abgelegt und los.“ Die Schwestern erschrecken noch, was denn der Uniformierte will, als er im Krankenhaus auftaucht. In der Nacht auf Freitag, um 1.17 Uhr, ist die Kleine da. Sie ist 37 Zentimeter groß und wiegt nur 1180 Gramm, nicht viel mehr als eine Packung Milch. Mit mehr als zehn Wochen zu früh und einem Geburtsgewicht von weniger als 1250 Gramm gehört sie sogar zu den „hoch-risikogeborenen“ Kindern.

    Die Kleine muss in den Inkubator, die Ärzte legen ihr eine Magensonde. Aber sie kann alleine atmen, zumindest mit einer Beatmungshilfe – also ohne Intubation. Die Haut dünn wie Papier, ganz bläulich schimmernd, überall Schläuche und Kabel, liegt die Kleine im Brutkasten. „Ich saß vor dem Inkubator und habe es nicht verstanden“, sagt Papa Matthias. Dass das seine Tochter ist – ein Schock. Am Anfang traut er sich kaum, den Winzling anzufassen, so zerbrechlich wirkt sie. Mama Kerstin liegt da noch auf der Intensivstation, es geht ihr aber den Umständen entsprechend gut. Ihr Mann bringt ihr Fotos ihres Babys, es ist eine unwirkliche Situation.

    „Aber Nancy war von Anfang an eine kleine Kämpferin“, sagt die Mutter. Das Baby entwickelt sich gut, sehr gut sogar, nimmt zu und wird zum Glück nicht krank. Jeden Tag fahren die Klerens von Althausen nach Schweinfurt, sie werden in den neun Wochen 4000 Kilometer machen. Papa Matthias nimmt frei, wann immer es geht, die Kollegen helfen. Mama Kerstin schafft es nicht allein in die Klinik , sie braucht seelische Unterstützung, weil sie jedes Mal ihr Kind zurücklassen muss. Die Großeltern kümmern sich zuhause um die beiden Töchter, unterstützen wo sie nur können.

    Stundenlang liegen Mama und Papa mit Nancy auf der Brust so da, das Baby mit Mütze und Decke, damit es nicht auskühlt. Das ist wichtig, um die Bindung aufzubauen, die Krankheit hat Nancy elf Wochen in Mamas Bauch geklaut.

    Nach dreieinhalb Wochen darf die elfjährige Schwester Larissa den Säugling zum ersten Mal hochnehmen. Es ist ein freudiger Tag in der Klinik. Es entsteht ein Foto, das der Papa heute als Bildschirmhintergrund auf dem Handy hat: Nancy lächelt, ihr Händchen ist zur Faust geballt als würde sie sagen „Wir schaffen das“. Und sie schaffen es. Die Kleine zieht sich irgendwann selbst die Magensonde.

    Probieren wir es, meinen die Schwestern – seitdem trinkt Nancy aus der Flasche. Am 21. August dürfen sie schließlich heim. Für die Baby-Trageschale haben sie einen Frühchen-Einsatz gekauft, weil das kleine Körbchen viel zu groß für Nancy gewesen wäre.

    Das Angebot von der Harl.e.kin-Nachsorge haben die Klerens angenommen, „auch wenn wir schon zwei Kinder haben“, sagt Mutter Kerstin. Bei Harl.e.kin kommen Kinder-Intensiv-Schwestern und Fachfrauen der Frühförderstelle zu den Familien nach Hause, um sie bei allen auftauchenden Fragen zu unterstützen. „Ihre“ Schwester hat die Klerens auch schon in der Klinik betreut, die Familie vertraut ihr, die Schwester kennt Nancys Geschichte. Eigentlich habe es keinen speziellen Grund gegeben, das Angebot in Anspruch zu nehmen, sagt Matthias Kleren, „aber es geht um das sichere Gefühl“.

    Wird das Kind gut trinken? Wird es entsprechend zunehmen? Was tun beim ersten Infekt? Wie geht seine Entwicklung weiter, braucht es spezielle Förderung? „Fragen, die sich Eltern von Frühchen intensiv stellen“, weiß Harl.e.kin-Koordinatorin Margit Jäcklein. Das Angebot gibt es seit November 2015 in Schweinfurt. Die Kosten tragen das bayerischen Familienministerium, Spender und der Träger Caritas-Schulen gGmbH Würzburg. Für die Eltern ist die Nachsorge deshalb kostenlos, auch in Gerolzhofen und Haßfurt.

    Familie Kleren ist eine von 160 Familien, die Harl.e.kin durch eine schwere Zeit begleitet hat. Zuhause in Althausen ist mittlerweile fast so etwas wie Alltag eingekehrt. In jedem Badezimmer steht jetzt eine Flasche mit Desinfektionsmittel für die Hände, ein bisschen aufpassen müssen sie schon, aber Nancy geht es prima. Nur die Familie zählt jetzt, die Eltern sehnen sich nach Ruhe. Der klinikerprobten Nancy ist Trubel egal, sie schläft immer noch auf Papas Arm.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden