Wenn gewaltige Dudelsack-Klangkaskaden den Stattbahnhof durchziehen, könnte es sein, dass die Schotten kommen. Nazareth liegt zwar nicht in Schottland, aber für die Fans von Langhaar-Matten-Hardrock ist dieser Name seit den frühen 1970er-Jahren fest mit dem Land von Scotch und Kilt verbunden, denn da schickten sich vier Jungs aus dem schottischen Kaff Dunfermline an, neben Bands wie Led Zeppelin und Deep Purple den Rock-Olymp zu erobern.
Das gelang ihnen auch für ein paar Jahre. Vor allem die Whisky-erprobte Reibeisenstimme von Originalsänger Dan Mc Cafferty sorgte für hohen Wiedererkennungswert. Doch wie so oft waren auch für Nazareth die fetten Jahre bald vorbei. Mäßigere Alben und die Anbiederung an den Pop der 80er nahmen die Fans krumm. Aufgegeben haben sie nie, fanden nach der Jahrtausendwende zumindest musikalisch wieder zu alter Größe, sprich zum erdigen Bluesrock, zurück. Nachdem Mc Cafferty vor einigen Jahren gesundheitsbedingt das Mikro aus der Hand legen musste, ist heute – seit 51 Jahren gibt es die Band – nur noch Originalbassist Pete Agnew dabei, sein Sohn Lee trommelt.
Alles andere als ihre eigene Coverband
Und dennoch sind Nazareth alles andere als ihre eigene Coverband. Erst 2018 haben sie ein neues Album – das 24. – herausgebracht und mit Carl Sentance am Mikro und Jimmy Murrison an den Gitarren hat man äußert renommierte Hardrock-Recken an Bord. So wurde auch das Gastspiel im Stattbahnhof keine Verwaltung des musikalischen Erbes, sondern es präsentierte sich eine vitale Band, die es noch immer wissen will. Carl Sentance wird wohl weiter mit der "Ersatzsänger-Rolle" klarkommen müssen, womit ihm allerdings unrecht getan wird. Er versucht erst gar nicht wie Mc Cafferty zu klingen, hat er doch seine eigene amtliche Hardrock-Röhre, die so manchem alten Song neuen Glanz verleiht.
Warum Nazareth heute nicht wie die Mitglieder anderer Bands die wohlverdiente Rockerrente unter Palmen genießen, sondern im immerhin rappelvollen Stattbahnhof spielen, hat noch einen anderen Grund. Ihre größten Hits haben sie nicht selbst geschrieben, ihnen aber ihren unverkennbaren Stempel aufgedrückt. "Love Hurts" von den Everly Brothers, "Morning Dew" von Bonnie Dobson oder "This Flight tonight" von Joni Mitchell haben in den Originalversionen kaum für Furore gesorgt, dürften aber Dank der Mega-Erfolge, die Nazareth mit den Songs hatten, ordentlich Tantiemen in die Kassen der Autoren gespült haben.
Power-Riffs am laufenden Band
Doch auch jenseits dieser musikalischen Leuchttürme haben Nazareth reichlich bekannte Melodien der härteren Gangart im Gitarrenkoffer. "My white bicycle", "Beggars Day", "Razamanaz" oder die Power-Ballade "Dream on" sind nur einige von ihnen. Der Name "Greatest Hits-Tour" verpflichtet und so sparten die Schotten nicht mit knochentrockenen Riffs und singenden Gitarren. Die Songs vom neuen Album "Tatooed on my brain" wie "Dance with the Devil" oder "Change" reihten sich nahtlos ein in die Riege der erdigen Ohrwürmer. Auch der Soundmixer hat hervorragende Arbeit geleistet. Als um 23 Uhr mit "Where are you now" und "Go down fighting" die Schlussakkorde ertönten und die Handy-Speicherkarten der filmenden Fans voll waren, waren sich alle einig – Nazareth liegt weiterhin in Schottland.
Famoses von Formosa

Erwähnt werden muss hier unbedingt noch die Vorgruppe, die sonst eher die wenig erbauliche Aufgabe hat, die Zeit in der Warteschlange an der Biertheke zu überbrücken. Bei "Formosa" aus Essen war das anders. Nik Beer, Nik Bird und Jakob, so die Namen des flotten Dreiers (Gitarre, Bass, Drums), boten Klasse Kick-Ass-Rock. Partytaugliche Dreieinhalbminüter, musikalisch eine schweißtreibende Mischung aus Judas Priest und den Ramones, sorgten für ordentlich Dampf im Bahnhof.
Hymnische Mitsingnummern wie "Fuck up your liver" oder "Johnny the Beaver" waren mehr als ein musikalischer Warm-up für Nazareth, kroch doch die Spielfreude dabei förmlich aus den Boxen. Musikalisch macht diese Band im Traditions-Line-Up der frühen 1970er keine Gefangenen, denn 45 Minuten lang wurde nicht einmal der Fuß vom Gas genommen.