Ein ungewöhnliches literarisches Projekt beschäftigt zurzeit Hans Jürgen Heimrich. Er schreibt einen Interviewroman über den Schriftsteller Hans Fallada und eine der großen Tragödien in dessen Leben: Der als Duell getarnte geplante Doppelselbstmord mit seinem Freund Hanns Dietrich von Necker am 17. Oktober 1911.
Hans Fallada ist der Künstlername, den sich Rudolf Ditzen später ausgesucht hat. „Jeder stirbt für sich allein“, „Wer einmal aus dem Blechnapf fraß“, „Kleiner Mann, was nun“, „Der Trinker“ – die Bücher machten ihn berühmt. Was damals passiert ist am Uhufelsen bei Rudolstadt, die Hintergründe, die Art, wie die Umgebung Ditzens/Falladas damit umgegangen ist, fasziniert Heimrich. Was ihn noch fasziniert: Der Gasthof Stockmann, in den der schwerverletzte Rudolf Ditzen nach dem Schusswechsel gebracht wurde, ist das Elternhaus seiner Frau Heidi. Deswegen ist wohl auch seine Frau eine der Hauptfiguren im Buch: Sie interviewt den Untersuchungsrichter.
Nicht nur wegen der Nähe zur Familie fasziniert ihn der Fall. Seine Frau hat ihm die Stelle im Gasthof gezeigt, wo der blutende Rudolf Ditzen damals versorgt wurde: „Da hat er gelegen.“ Heimrich ist auch fasziniert von der Persönlichkeit Ditzens, auch wenn er sich nur auf die Tragödie am Uhufelsen konzentriert: „Es geht nicht um eine Biografie.“
Was ist damals passiert? Hans Jürgen Heimrich hat sich die Gerichtsakten besorgt, Protokolle gelesen, Fotografien und Asservate, wie eines der Geschosse, studiert. Viele Selbstmorde gab es damals bei jungen Männern, vor allem Gymnasiasten. Heimrich spricht von Todessehnsucht. Necker hat in einem Brief an einen Freund geschrieben, „der Revolver lächelt mich an“.
Nur: Selbstmord war unehrenhaft, brachte Schande mit sich, auch für die Familien. Die Lösung für Ditzen (18) und seinen 17-jährigen Freund von Necker: Ein Duell. Eine gesellschaftlich anerkannte Art, sich umzubringen, könnte man aus der Warte des 21. Jahrhunderts heraus sagen. Die beiden versichern sich, den jeweils anderen nicht am Leben zu lassen, schildert Heimrich. Sie suchen sich eine Lichtung, schießen. Der erste Schuss geht vorbei, die Kugel wird später gefunden. Mit dem zweiten Schuss trifft Ditzen seinen Freund, schießt noch einmal. Er richtet die Waffe auf sich selbst, drückt zweimal ab. Ditzen verliert das Bewusstsein. Er blutet „narrisch“, sagt Heimrich. Ein Feldarbeiter findet ihn, er wird ins Gasthaus Stockmann gebracht – in Decken eingewickelt, kriegt warme Backsteine an die Füße. Sein Freund ist zu diesem Zeitpunkt schon tot.
Am 18. Oktober berichtet die Rudolstädter Zeitung über eine Gymnasiastentragödie. Ganz schön aktuell, für die damalige Zeit, meint Heimrich. Die Untersuchung beginnt noch im Gasthaus, bevor Ditzen ins Rudolstädter Krankenhaus gebracht wird. „Wir haben uns geschossen“, sagt der schwerverletzte Dietzen. Der Tierarzt schaut sich die Verletzung an, keiner weiß wohl so genau, was passiert ist. Und Ditzen verflucht den Tierarzt, steht in den Akten, die Heimrich mühsam entziffert hat.
Ditzen wird angeklagt. Wäre er als Mörder verurteilt worden, die Karriere des Vaters als Reichsgerichtsrat wäre beendet gewesen. Er wird für nicht zurechnungsfähig erklärt („Er hatte schon immer eine Macke“). Die Familie bemüht sich aber auch, auf die Unzurechnungsfähigkeit hinzuarbeiten, sagt Heimrich. Erzählt von Schwermütigen, Selbstmördern in der Familie. Ditzen kommt für zwei Jahre in eine Privatklinik. Und Glück findet er nie. Auch wenn er Erfolge als Schriftsteller feiert. Er sitzt mehrmals im Gefängnis, hat immer wieder mit Alkohol- und Drogenproblemen zu kämpfen, stirbt 1947.
Viel Arbeit hat Hans Jürgen Heimrich in die Recherchen für seinen Interviewroman gesteckt. Deswegen wird es noch ein bisschen dauern, bis das Werk fertig ist.