Jetzt ist Rammelzeit. Wer in diesen Tagen aufmerksam durch die Flur spaziert, kann mit etwas Glück eine Hasenhochzeit beobachten. Oder besser: Er könnte. Denn tatsächlich gibt es immer weniger Rammler. Und immer weniger Zibben, wie dessen weibliches Gegenstück heißt. Kurz gesagt: Hasen sind hierzulande eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Schlechte Nachrichten – gerade jetzt, an Ostern.
„Jäger sorgen sich um die Zukunft des Osterhasen.“ Und: „Tiefster Stand seit Beginn der Aufzeichnungen.“ Der Bayerische Jagdverband (BJV) verbreitet dieser Tage Schreckensnachrichten von der Hasenfront. Grund genug, dem Osterhasen im Landkreis Schweinfurt einmal nachzuspüren. Der „Hasenäquator“ verläuft dabei unmittelbar nördlich der Stadt mit dem Schwein im Namen. Im Süden und Westen – in den Tälern von Main und Wern – gibt es ausreichende Bestände des österlichen Niederwilds. Nördlich – oberhalb von 250 Metern – kommt es so gut wie gar nicht mehr vor.
Hasen haben es gerne warm. Dann lassen sie sich in ihren Sassen, also Acker- oder Wiesenmulden, die Sonne aufs Fell brennen. Und in der Rammelzeit – von Januar bis Juni – veranstalten sie gelegentlich auch Boxkämpfe, wilde Verfolgungsjagden und tun eben das, wofür sie berühmt sind. Rammeln. Ergebnis dieses triebgesteuerten Lebenswandels sind drei bis vier Würfe je Häsin jährlich. Mit jeweils zwei bis vier Junghasen. Als „Superfötation“ bezeichnet man übrigens das Phänomen, dass auch eine bereits trächtige Häsin nochmals befruchtet werden kann. Eigentlich sollten diese Spezies keine Nachwuchssorgen plagen.
Tun sie aber doch. Ursächlich sind – wie der Niederwerrner Jäger Walter Zeißner berichtet – die Zersiedelung der natürlichen Lebensräume durch immer neue Wohn- und Gewerbegebiete, ein gestiegener Raubwilddruck und die Intensivierung der Landwirtschaft. „Die Bauern merken gar nicht, was ihnen so alles in die Maschine läuft“, sagt Zeißner. Beim Mähen der Wiesen würde sich der Hase instinktiv „drücken“, also in seinem Lager zusammenkauern. Weglaufen wäre besser, ist aber nicht sein Ding. Deshalb fallen viele Tiere „dem effektivsten Jäger“ zum Opfer – dem Landwirt.
Dennoch sind die Niederwerrner und Schweinfurter Bauern die Verbündeten von Walter Zeißner. Mit ihnen gemeinsam betreibt er „nachhaltiges Niederwildmanagement“ und schafft es so, den Hasenbestand in seiner Pacht auf Nieder- und Oberwerrner Fluren seit Jahren konstant zu halten. Flächen werden stillgelegt und in blühende Wildäcker verwandelt, Kleinstflächen mit Topinambur oder Elefantengras bepflanzt, an verschiedenen Stellen entstehen Hecken inmitten des bewirtschafteten Umfelds. Die Hasen finden hier Nahrung – im Winter etwa den westfälischen Markstammkohl, im Sommer Klee und Blumen – und Deckung. Hasen sehen schlecht, hören aber sehr gut. Bei den Ohren kein Wunder. Im Schutz der Wiesen stellen sie ihre Lauscher auf. Und wenn der Feind naht, ducken sie sich ab. Ausgewachsene Tiere fliehen auch schon mal pfeilschnell (Zeißner: „Die bringen es auf neun Meter pro Sekunde.“) vor einem Fuchs. Jungtiere können das nicht. Die liegen tagsüber schutzlos und alleine in ihrer Sasse, treffen sich nur nachts einmal an einem festgelegten Ort mit ihrer Hasenmama zum sekundenschnellen Säugen. So sind sie am Tag leichte Opfer für Füchse, Rabenkrähen und Elstern, insbesondere im Frühjahr, wenn die Äcker noch braun sind.
Das Bejagen des Raubwilds ist deshalb wichtigste Aufgabe der „Hasenheger“ Walter und Wolfgang Zeißner. Bei der Herbsttreibjagd letztes Jahr brachten sie 82 Hasen und drei Füchse zur Strecke. „Ha“, möchte man da einwenden, „wenn ihr die Hasen schießt, können sie sich ja nicht vermehren.“ Doch dem ist nicht so. „Wo keine Hasen gejagt werden, kümmert sich auch niemand um den Fuchs“, sagt Walter Zeißner. Weil Füchse für den Jäger wertlos sind, seit die Felle nicht mehr nachgefragt werden. Und wo der Fuchs frei agieren kann, geht es den Hasen umso schneller an den Kragen.
Fuchs jagen, Natur pflegen, Hasen hegen – das ist deshalb der Dreiklang, der dem Osterhasen in Deutschland noch eine halbwegs gesicherte Zukunft verspricht. Und zählen. Im Frühjahr und im Herbst fahren die Zeißners nachts mit ihrem Auto und einem lichtstarken Scheinwerfer durchs Revier und zählen die Hasenbestände. Das Verfahren hierzu ist bundesweit normiert und bewährt; Nachzählungen ergeben stets nur geringste Abweichungen.
Zwischen der Frühjahrs- und der Herbstzählung liegt der Populationszuwachs. Rund 150 Hasen gibt es jetzt in der Niederwerrner und Oberwerrner Pacht, 250 meist im Herbst (wobei es laut Zeißner nur jedes zehnte Neugeborene bis zum ausgewachsenen Hasen schafft). Liegt die Population unter 200, gibt es keine Treibjagd.
Wo übrigens der Hase gehegt wird, geht es auch dem anderen Niederwild gut. In der Zeißner'schen Pacht (die Familie hält diese seit 1930, inzwischen in dritter Generation) gibt es inzwischen auch zahlreiche Fasane, etliche Rehe, Rebhühner und viele Ringeltauben. Unter Niederwerrner Spaziergängern heißt ein Ausflug in die Flur inzwischen schon „Rehegucken“. Zwar sind die Hasenbestände weit entfernt von alten Zahlen, wie anno 1920, als in diesem Revier tausend und mehr pro Jahr geschossen wurden. Aber sie sind stabil und im Landschaftsbild wahrnehmbar.
Zwei Stunden hat Walter Zeißner das Reporterteam dieser Zeitung durch die Flur geführt. Zurück in Niederwerrn, begegnen wir Bürgermeister Peter Seifert. Zeißner hat gute Nachrichten für den Ortschef: „Die Versorgung der Kinder mit Osternestern ist gesichert. Es gibt genügend Osterhasen.“