Es muss eine der schwersten Entscheidungen sein, die jemand als Angehöriger treffen kann. Der Partner, das Kind, ein Elternteil liegen im Krankenhaus. Die Zeit der Hoffnung ist vorbei. Man steht am Krankenhausbett, sieht einen Menschen, der lebendig wirkt. Sein Herz schlägt, der Brustkorb bewegt sich. Aber der Mensch, der da liegt, ist hirntot. Das heißt laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Gesamtfunktion von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm sind irreversibel erloschen. Durch kontrollierte Beatmung wird die Herz-und Kreislauffunktion noch künstlich aufrechterhalten.
Und in dieser schmerzhaften Situation fragt ein Arzt: Haben Sie schon einmal über Organspende nachgedacht?
Nicht nur eine Gewissenssache
Für viele Menschen ist das nicht nur eine ganz persönliche Entscheidung, eine Gewissenssache. Vielleicht wurde darüber irgendwann einmal geredet, wie derjenige, der jetzt hirntot ist, über Organspende denkt. Vielleicht gibt es genaue Anweisungen, einen Organspendeausweis.
Vielleicht kann man sich auch mit einem Gedanken trösten, wenn man vor der Entscheidung steht, sich selbst als einen Organspende-Ausweis zuzulegen oder zu entscheiden, ob Organe eines hirntoten Angehörigen transplantiert werden können: Jemand kann dadurch weiterleben.
Viele Menschen sehen sich aber auch in einem religiösen Konflikt, wenn sie mit dem Thema Organspende konfrontiert werden. Ist das erlaubt? Könnte eine Organspende Folgen für das wie auch immer von der jeweiligen Religion in Aussicht gestellte Leben nach dem Tod haben?
Im Leopoldina Krankenhaus in Schweinfurt ging es bei einem Mini-Symposion um diese Frage: Hirntod und Organspende aus religiöser Sicht. Was sagen Christentum, Judentum, Orthodoxie und Islam zur Thema Organspende? Und zum Konzept Hirntod?
Leben retten als hohes Gut
Ein Leben retten, das ist in allen diesen Religionen ein hohes Gut. „Wer einen Menschen rettet, rettet die ganze Welt“, zitiert Mehmet Gül, Notfallseelsorger aus Stuttgart, aus dem Koran. Ein Leben zu retten, ohne sich selbst zu gefährden, allerdings, sei eine Mitzwa, eine von Gott gebotene Tat, so die Bamberger Ärztin und Rabbinerin Dr. Antje Yael Deusel.
Bei Freiwilligkeit ist die Organspende sittlich akzeptabel, so die katholische Theologin Dr. Elisabeth von Lochner (Domschule Würzburg), die sich auf eine gemeinsam Erklärung von katholischer Bischofskonferenz und EKD stützt. Organspende sei außerdem eine Möglichkeit, über den Tod hinaus Nächstenliebe zu praktizieren.
Martinos Petzolt, griechisch-orthodoxer Pfarrer von Würzburg und Unterfranken und Würzburg und Erzpriester, fasst die Position der nach byzantinischem Ritus orthodoxen Kirchen und Hierarchen in Deutschland so zusammen: Jeder einzelne Fall unterliegt dem persönlichen Gewissen. Von außen könne niemand diese Entscheidung beurteilen. Organspende sei aber auch ein Akt der Nächstenliebe.
Unterschiedlichere Ansichten gibt es zum Komplex Hirntod. Laut Mehmet Gül gilt im Islam jemand als tot, wenn die Seele den Körper verlässt. Und die sitzt im Herzen. Schlägt es noch, sei es daher nicht erlaubt, Organe zu entnehmen. Klaus Dötter, Transplantationsbeauftragter am Leopoldina, der zusammen mit seinem Kollegen Dr. Alexander Koch das Symposion veranstaltet, stellt eine Erklärung des Ditib-Bundesverbandes, in dem die türkisch-islamischen Moscheegemeinden in Deutschland organisiert sind, dagegen. Dort werde das Konzept der Hirntodes anerkannt. Ein Mensch, der den Hirntod erlitten habe, sei kein fühlender Mensch mehr, heiße es dort. Für Gül stellt sich allerdings doch die Frage, ob jemand vielleicht nicht doch etwas fühlt, auch wenn ihn Ärzte für hirntot erklärt haben. Molekularbiologin und Genetikerin Elif Kurt stellt einen anderen Weg vor: Organe züchten oder künstlich herstellen. Das verhindere auch Abstoßungsreaktionen.
Rabbinerin Deusel sieht das pragmatisch: „Wer hirntot ist, bleibt hirntot bis der Messias kommt.“ Martinos Petzolt formuliert die Seelenfrage so: „Der Tod bleibt ein Mysterium. Niemand weiß, wann Christus kommt, um die Seele entgegenzunehmen.“ Er spricht von der Geistseele, die vom physischen Tod nicht betroffen sei. Hirntod sei nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft ein Konzept zur Feststellung des Todes, nicht zur Definition des Todes, so die katholische Theologin von Lochner.
Auf zwei Beinen durchs Paradies
Wie sieht's aus, wenn jemand nicht komplett bestattet wird – weil ihm ein gespendetes Organ fehlt oder er beispielsweise ein Bein amputiert bekommen hat als Diabetes-Folge? „Ich glaube nicht, dass der Ewige sagt, Du hast nur eine Niere, Du kommst hier nicht rein“, sagt Rabbinerin Deusel.
Petzolt sorgt für Heiterkeit, als er sagt: „Wenn Sie mich fragen, ob ein Amputierter mit einem oder zwei Beinen durch das Paradies läuft, würde ich sagen, mit zweien.“ Auferstehung bedeute schließlich nicht, mit seinem alten, irdischen Körper ausgestattet zu sein.
Viel wird über Spender und Empfänger geredet, die Rolle der Angehörigen. Aber auch über die Ärzte, die im Entscheidungs-Prozess eine große Rolle spielen. Darum geht es auch bei einem Gespräch nach dem Vortrag, beim Warten auf den Aufzug. „Die Ärzte müssen einen genau aufklären, man muss das alles verstehen. Man muss ihnen vertrauen können“, sagt eine Frau. Und man werde nie eine Entscheidung pro oder contra Organspende beurteilen können, wenn man nicht selbst in so einer Situation war.