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WIPFELD: Ortsrufanlage: Schneller als jede Eilmeldung

WIPFELD

Ortsrufanlage: Schneller als jede Eilmeldung

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    _ Foto: Anand Anders

    Wer in Wipfeld informiert sein will, kippt das Fenster. Dann scheppert Marschmusik ins Haus und kündigt die neuesten Nachrichten an – per Ortsrufanlage.

    So wie an diesem Freitagmittag in Wipfeld. Bürgermeister Tobias Blesch legt die Kassette in den Rekorder. „Berühmte Deutsche Märsche 1“, Intercord-Musikverlag 1989. Durchs Dorf schallt der Königlich-Bayerische Grenadiermarsch. Nebenan öffnen die Ordensschwestern Gerhild und Dietheide erwartungsvoll das Fenster. Zwei Minuten und 14 Sekunden dauert das Stück, Blesch wartet mit tippelnden Fingern am Mikrofon. Der längste Marsch währt stolze vier Minuten. „Der kommt natürlich immer, wenn man eh keine Zeit hat“, meint Blesch.

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    _ Foto: Anand Anders

    Der letzte Ton, dann Stopptaste, kurze Pause, Knopf drücken und Mikro an. „Bekanntmachung“, krächzt es aus etwa 50 Lautsprechern im ganzen Dorf. „Zur Jahresversammlung am Freitag, 19 Uhr, sind die Hubertusbrüder eingeladen. Über zahlreiche Teilnahme in der Flammkuchenstube ,Hopp-Auf‘ freut sich die Vorstandschaft. Ich wiederhole. Zur Jahresversammlung...“

    Wipfelder lieben sie, Touristen erschrecken sich

    Fahrradtouristen vom Main-Radweg erschrecken sich da manchmal. Die meisten Wipfelder aber lieben ihre Ortsrufanlage. Vereinstreffen, Trauerfälle, Bürgerversammlung, das sind so die Klassiker. Klar steht das meiste im Amtsblatt, aber wenn mal das Wasser ausfällt oder so, kann der Bürgermeister die Leute direkt informieren. Das ist mitunter schneller als jede Eilmeldung aus dem Internet. Aber: Die Form der Darbietung sollte stets gewahrt bleiben.

    Zu Beginn von Bleschs Amtszeit war mal ein Wackelkontakt auf dem alten Kabel, die Märsche leierten durch das Weinörtchen. Da hat Blesch von seinen Eltern ein altes Radio geholt, denn an die antiken Anschlüsse kann man nicht mal eben ein Smartphone stecken. Blesch schaltete auf Bayern 1 – und da kam gerade „Lambada“. Lateinamerikanischer Gassenhauer statt Blasmusik: „Ich hab sofort WhatsApp-Nachrichten bekommen.“

    „Die Anlage versteht das Englische nicht.“

    „Die Anlage versteht das Englische nicht“, hat Bleschs Amtsvorgänger Peter Zeißner mal in einem Interview gesagt. Das Gespräch erschien 2012 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und gilt laut Blesch als „legendär“. Das mit dem Englischen bezog sich auf Popsongs, die sich Brautpaare früher für den Auszug aus dem Standesamt wünschen durften. Zeißner hat das dann abgestellt. „Das scheppert halt sehr“, sagt Blesch. Zu den Märschen passt der blecherne Klang, man ist es von alten Aufnahmen einfach gewohnt.

    Es gibt eine eigene Hochzeitskassette im Rathaus, da ist unter anderem der Zillertaler Hochzeitsmarsch drauf. Dann noch „So nimm denn meine Hände“ und vier Stücke vom „König der Blasmusik“, Ernst Mosch. Wenn es Beschwerden der Wipfelder wegen der Ortsrufanlage gibt, dann meist bei Hochzeiten. „Das muss man erstens mögen, und zweitens dauert das ja immer ein bisschen“, meint der Bürgermeister. Da soll dann wenigstens der Klang halbwegs stimmen. „Einmal habe ich mich doch erweichen lassen, ein Wunschlied zu spielen.“ Das war von Bon Jovi, das Paar hat es extra auf Kassette überspielt. „Es hat fürchterlich geknackt.“

    Besser Telefon umstellen!

    Aber man lernt ja immer was dazu. „In der Anfangszeit haben ich noch nicht gewusst, dass man das Telefon umstellen muss“, erzählt der Ratshauschef. Da gab es dann Scherzkekse, die haben immer angerufen, wenn er gerade etwas durchgesagt hat und dann hat man das Telefonklingeln im ganzen Dorf gehört. Den Witz habe es schon unter Peter Zeißner gegeben, mittlerweile ist Blesch schlauer.

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    _ Foto: Anand Anders

    Eine normale Durchsage dauert nicht lang, der Marsch plus zwei Mal die Nachricht. Feste Zeiten gibt es nicht, aber meist sagt Blesch Montagmittag etwas durch und dann noch am Mittwoch gegen 18 Uhr, sodass er auch Berufstätige erreicht. Die Texte entnimmt Blesch entweder dem Amtsblatt oder, wie an diesem Tag, einem Zettel aus dem Rathausbriefkasten. Der Vorstand der Hubertusbrüder hat den Text handschriftlich auf einen Notizzettel geschrieben.

    Die Ortsrufanlage ist die „moderne“ Version des sogenannten Ausschellers. Das war ein Gemeindediener, der mit einer Glocke durchs Dorf zog und amtliche Bekanntmachungen ausrief.

    Anlage wurde in der Nazizeit installiert

    In der Nazizeit ließ dann Joseph Goebbels zu Propagandazwecken tausende Anlagen in Deutschland installieren. Auch die erste Wipfelder Anlage stammt aus dieser Zeit, in den Akten findet sich die Rechnung aus dem Jahr 1944. Die Originalanlage steht heute noch auf dem Dachboden des Rathauses, mit Hammerschlaglackierung und Plattenspieler. In den meisten Orten wurde die Technik irgendwann abgeschafft, in Wipfeld hat man 1974 dann die „neue“ Anlage mit dem Kassettenrekorder installiert. Sie ist einfach ein praktischer „Erinnerungsservice“.

    Im letzten Jahr wäre es dann fast vorbei damit gewesen. Ein Blitz schlug in die Anlage, der Verstärker brannte durch. Im Internet entdeckte Bürgermeister Blesch eine Kleinanzeige: vier passende Verstärker für 140 Euro, ein Scheunenfund. Die Zukunft war gesichert. Ende der Durchsage.

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