"Vor zehn Jahren haut Ihr von hier nicht wieder ab“, so hatte es Prichsenstadts Pfarrer Erich Eyßelein einst als Senior im Evangelisch-Lutherischen Dekanat Castell den neuen Pfarrern von Gerolzhofen bei ihrer Einführung im Februar 2007 in der ihm eigenen Art zugerufen.
Wir haben uns mit Jean-Pierre Barraud und seiner Frau Anja Saltenberger-Barraud im Vorfeld ihrer offiziellen Verabschiedung am Sonntag darüber unterhalten, warum es jetzt doch nicht die bei evangelischen Pfarrern üblichen zehn Jahre geworden sind, aber auch darüber, wie sie die Zeit in Gerolzhofen empfinden und was sie vielleicht an der neuen Wirkungsstätte besonders vermissen werden.
„Aus familiärer Sicht ist es einfach das Beste“, so Jean-Pierre Barraud zum Grund für den doch relativ schnellen Wechsel zum 1. September ins schwäbische Elchingen. Denn unweit der neuen Pfarrei im Dekanat Neu-Ulm wohnen die Eltern von Anja Saltenberger-Barraud. Und so freut nicht nur sie sich auf die Rückkehr in ihre Heimat und zu den Eltern, sondern es freuen sich auch ganz besonders die beiden Pfarrerskinder Amélie (8) und Philipp (4) auf die Zeit mit „Oma und Opa“. Deshalb habe man sofort zugegriffen als die Pfarrstelle frei wurde.
Man spürt es, wenn man mit Jean-Pierre Barraud und Anja Saltenberger-Barraud jetzt so kurz vor ihrem Abschied im Pfarrhaus zusammensitzt, beide sind mit sich im Reinen und gehen in der Gewissheit, in den vergangenen siebeneinhalb Jahren, die es nun geworden sind, in Gerolzhofen in jeder Hinsicht eine in hohem Maße anerkannte und äußerst engagierte Arbeit geleistet zu haben.
Jean-Pierre Barraud spricht von „einer extrem vollen Zeit“, die wie im Flug vergangen sei. All die Eindrücke, Veranstaltungen, Gottesdienste oder Baumaßnahmen seien rasend schnell aufeinandergeprallt. Die ganzen Aktivitäten lassen sich in der Tat nicht einmal ansatzweise aufzählen, so wahnsinnig viel ist es, was die beiden zusammen mit den zuständigen Gremien in Gerolzhofen in relativ kurzer Zeit bewegt, initiiert, auf die Beine gestellt und durchgezogen haben.
Die Kirche öffnen
Das gemeinsame Anliegen und große Ziel der Pfarrerseheleute war von Anfang an, sich als Kirche nicht einzuigeln, sondern stark zu öffnen. Dazu das alte Gemeindehaus abzureißen und die Erlöserkirche mit einem neuen Gemeindehaus baulich wie konzeptionell zu verbinden, war ein weitsichtiger wie mutiger Schritt, der sowohl aus finanzieller Sicht wie auch von der erforderlichen Überzeugungsarbeit her viel Kraft kostete. Jean-Pierre Barraud stellt rückblickend fest: „Die große Veränderung fand mit dem Umbau statt. Das ist schon eine neue Ausrichtung von Kirche gewesen.“ Die evangelischen Pfarrerseheleute haben sich trotz mancher Widrigkeiten und Widerstände nicht von ihrem Plan und Weg abhalten lassen, bis das neue Gemeindezentrum stand.
Seitdem finden hier nicht nur Gottesdienste und Orgel- oder andere Konzerte im kirchlichen Rahmen statt. Gemeinsam mitten im Kirchenraum Fußball auf der Großleinwand zu schauen und beim Tor vor Freude fast an die Empore zu springen, hier Geburtstag, Taufe und Hochzeit zu feiern oder zur Rockmusik die Verstärker aufzudrehen, das alles und noch viel mehr ist inzwischen im neuen Gemeindezentrum unter dem Dach der Erlöserkirche möglich.
Diese ist unter Jean-Pierre Barraud und seiner Frau Anja zur Kultur- und Begegnungskirche geworden, seitdem Kirche und Gemeindehaus nach dem Um- und Neubau als großer Gemeindesaal sowohl für kirchliche als auch ganz bewusst für weltliche Zwecke genutzt werden können.
Anja Saltenberger-Barraud empfindet das als „sehr bereichernd“, während ihr Mann darin eine „Plattform der Begegnung“ und einen „Raum der Chancen und Möglichkeiten“ sieht. Das Schöne daran sei dabei, hier so vieles ausprobieren und wagen zu können. Und viele, wie Conny Waskiewicz, Silvia Kirchhof oder der katholische Pfarrerkollege Stefan Mai „waren so offen, es mit uns zu machen“.
Und genau so kommt die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde mit ihren aktuell rund 1500 protestantischen Seelen in Gerolzhofen und den zwölf im Umland mitbetreuten Gemeinden bis hinauf nach Geusfeld jetzt daher: Modern, weltoffen, tolerant und stets bereit fürs Neue. Viele, die der Kirche den Rücken gekehrt haben, kehren auf dem Umweg über die Veranstaltungsangebote zumindest vorübergehend in ihren Schoß zurück. Eingeladen sind, wie immer, alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft und Ansicht und ihrem Glauben oder auch Nicht-Glauben.
Wichtig war die Ökumene
Ein weiterer wichtiger Eckpfeiler der Arbeit der Barrauds in Gerolzhofen war die Ökumene: Obwohl diese schon längere Tradition hat, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass die beiden Kirchengemeinden in den vergangenen Jahren noch ein gutes Stück weiter zusammengewachsen sind und die Ökumene weiter gestärkt wurde. Dies nicht nur wegen der gemeinsamen Auftritte von Pfarrer Stefan Mai und Jean-Pierre Barraud auf der Bühne des kleinen Stadttheaters. Ebenso lobt das Pfarrersehepaar aber auch die „richtig tolle und stets unkomplizierte“ Zusammenarbeit mit der Stadt, Stadtteilmanagerin Ganna Kravchenke oder den anderen Einrichtungen, die ein Mittelzentrum biete, angefangen von der Stadtbibliothek bis hin zu den Schulen.
Natürlich fällt der Abschied den Pfarrerseheleuten von Gerolzhofen trotz der Freude auf die gemeinsame Zeit mit den Großeltern nicht leicht. Vermissen werden sie nicht zuletzt die vielen Menschen, mit denen sie hier Freundschaft schließen durften, und „die kleinen Gärten, die für unsere Kinder immer offen waren“, betonen sie unisono.
Wenngleich die Pfarrerseheleute schon eine Woche vorher im Gottesdienst verabschiedet werden, so wird übrigens der Sonntag, 10. August, ihr letzter offizieller Arbeitstag in Gerolzhofen sein.
Das Ehepaar teilt sich eine Pfarrstelle
Jean-Pierre Barraud (39) wurde in Lahr im Schwarzwald geboren. Ursprünglich wollte er Lehrer werden. Seine Erfüllung fand er jedoch als evangelischer Pfarrer. Er studierte evangelische Theologie an der kirchlichen Hochschule in Neuendettelsau, wo er auch seine Frau Anja kennen lernte, und an den Universitäten von Marburg und Heidelberg. Sein Vikariat als Ausbildungszeit zum Pfarrer absolvierte er an der Friedenskirche in Bayreuth.
Pfarrerin Anja Saltenberger-Barraud (40) wurde in Ulm geboren und hat den gleichen Ausbildungswerdegang wie ihr Mann Jean-Pierre. Sie wusste allerdings schon von Anfang an, dass sie Pfarrerin werden wollte. Ihr Vikariat hatte sie ganz in die Nähe ihres Mannes nach Hummeltal bei Bayreuth geführt.
Zum 1. Februar 2007 hatte das Pfarrersehepaar die nach dem Weggang von Pfarrer Holger Bischof für sieben Monate verwaiste Pfarrstelle in Gerolzhofen übernommen. Zuvor waren beide bereits gemeinsam als Pfarrer zur Anstellung in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Gleisenau mit über 2000 Gemeindemitgliedern diesseits und jenseits des Mains um Ebelsbach und Eltmann tätig gewesen. novo