Große und intensive Wünsche können auf unterschiedliche Weise Wirklichkeit werden. Beim Poetry-Slam in der Disharmonie erfüllte sich für Siegerin Enora Le Corre das Begehren nach der goldenen Dichterschlachtschüssel und dem damit verbundenen Plüschschweinchen. Aber auch im Falle einer niedrigeren Platzierung auf dem Siegertreppchen hatten sich die Mit-Slamer der Endrunde Michi Malcharek, Juston Buße und Oliver Walter miteinander verständigt, das Schweinchen in jedem Falle Enora zu überlassen. Beim Poetry-Slam steht eben im Hintergrund das große Miteinander auf dem Siegespodest: Kunst und Respekt zeigt sich als gelebte literarische Qualität.
Acht Slammer zeigten bei der 48. Ausgabe des Poetry Slams ihr Können. Mo Brodon eröffnete den Slam mit nachdenklich stimmenden Versen zur Innen- und Außenansicht einer Depression. Juston Buße ironisierte mit "Ich bin ja nicht tolerant, aber …, das wird man ja noch sagen dürfen" die derzeitige Verrohung in Alltagsgesprächen. Seine Antwort: "Wenn du dich aber in deiner Welt, hinter der Mauer deiner Engstirnigkeit verschanzt, wenn du sexistisch, rassistisch, homophob oder ausgrenzend bist, dann baue ich mit meinen Worten eine Tür in diese Mauer. Und wenn du dann nicht hindurchgehst, sondern ein Arschloch bleiben willst, dann – und nur dann – bin ich kein bisschen tolerant." Nach ihm Oliver Walter, der mit "Ey Mann, zipation" seine Fähigkeit bewies, ernste Themen mit viel Humor zu bearbeiten. Ebenfalls durch das Thema Emanzipation mäanderte Kiki Tabiri Lee mit unterhaltsamen Pointen durch ihrem Text "Adam, Eva, halt mein Mann und ich."
Ein fußballbegeisterter Poet über das "Refugium" Kreisliga
Johannes Hemberger eröffnete die zweite Vorrunde mit "Einmal berühren" und spielte mal heiter, mal nachdenklich mit Erlebnissen seiner Dorfjugend. Zu einem Perspektivenwechsel lud Michi Malcharek ein und entführte das Publikum mit seinem Gedicht in das Seelenleben eines Hochleistungsrechners. Matthias Klaß, fußballbegeisteter Poet aus Eisenach, zerlegte die Auswüchse der Sportart abseits vom Profifußball, wo die Kreisliga zu einem Refugium im Alltagssturm werden kann: "dem Alltagssturm des Wohnzimmers, den Gattinnen verbreiten, die selbst zu kurz gekommen sind, in diesen harten Zeiten …". Enora Le Corre, erst seit 2018 auf Slambühnen unterwegs, zeichnete sprachlich eindringlich und unter die Haut gehend die Stadien jener Verhaltensstörungen nach, die durch Cannabiskonsum entstehen können.
Walter prophezeite im Finale, dass "die alten (Slammer) beginnen und die jungen (Slammer) gewinnen", er las gewohnt humorvoll aus seinem neuen Buch "Breaking Dad", ein Stück mit dem Titel "Ein(en) Vater schafft die Vaterschaft". Buße, der selbst einmal acht Monate obdachlos war, gab mit seinem Text "Essen haben" allen Obdachlosen eine berührende Stimme und zeigte auf, dass Texte dieser Art auch etwas im alltäglichen Miteinander verändern können. So entstand in Frankfurt zum Beispiel ein Slam, der einen Verein für Obdachlose unterstützt.
Lachen ist Energie, die bleibt. Mit poetischem Positivismus wartete Malcharek in seinem Gedicht auf, in dem er sein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Kindergarten resümierte. Le Corre thematisierte die Stigmatisierung durch Herkunft und Ethnien und fragte nach, ob es auch in Schweinfurt ein Ghetto gäbe. Ihr Text "Morgens halb 10 in Deutschland" ließ den Poetry-Slam zur Vorweihnachtszeit enden, wie er nicht besser hätte enden können:
"…Denn wir, wir sind eine Welt / Ein Europa, ein Volk das zusammenhält / Lasst uns Heimat nicht nur an Orte binden / Wo Orte fehlen, gibt es Worte / Wo Worte sind, da gibt es Menschen / Und Menschlichkeit / Kennt keine Grenzen!"