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SCHWEINFURT: Poetry-Slam: Lebenslauf im Leidensrausch

SCHWEINFURT

Poetry-Slam: Lebenslauf im Leidensrausch

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    Poesie darf alles: Gewinner Stefan Dörsing.
    Poesie darf alles: Gewinner Stefan Dörsing. Foto: Foto: UWE Eichler

    Ein wenig Wahnsinn und viel Weltschmerz gab es beim „Kleinen Geburtstag“ des Poetry Slams: Natürlich nicht anlässlich der Fünf-Jahres-Feier in der ausverkauften Disharmonie (30 Leute kamen nach dem, so Organisator Manfred Manger, „gigantischem Vorverkauf“ gar nicht mehr rein). Aber reine Comedy und schrille Exzentrik, wie bei vielen Lyrikwettbewerben in der Großstadt, sucht man vergeblich: stattdessen warten Wortwitz und ein „Wellenbad der Gefühle“, alles live, lebensecht und ohne doppelten Boden. „Es gab vorher keine Slammer in Schweinfurt“, sagt Hobbyautor Manger (bekannt etwa von der Schweinfurter Autorengruppe) stolz. Wahrscheinlich gibt es im Mai wieder einen U20-Slam, auch wenn die Finanzierung der Workshops oft auf wackeligen Beinen steht. Die poetische Geburtstagsparty war dank lokaler Sponsoren gesichert, seit 2009 gibt es einen Trägerverein, die WortARTikulation Schweinfurt. DJ Felix Kaden sorgt für Musik, ansonsten gibt es „Nur du und dein Text“, und fürs abstimmende Publikum ordentlich was auf die Ohren. Eltern, die sich zusammen mit ihren Kindern einen Dichterwettstreit anhören: so was findet man nur hier.

    Rosalie ist das „Opferlamm“ zum Auflockern, mit etwas düsteren Versen über eine Beziehung als „Stummfilm auf Pause“. Verrätselt der erste Wettbewerbsbeitrag von Anita Bollmann aus Südtirol: Ist es ein Mensch, oder ein Baum, der hier am eigenen Leben vorbeiexistiert - und am Ende fällt? „Bin ich hässlich?“ sinnierte Eva Stepkes aus Mainz in einem „Selbstportät“.

    Die „sanfte Ahnung von fehlendem Vorhandensein“ ließ Nika aus Schweinfurt erschauern. Ist es ein Embryo, oder ein Komapatient, der hier in einer starken Bildsprache zu Bewusstsein kommt? Etwas humoriger ging es bei Martin Geier aus Weißenburg zu: Hier erwacht der Antiheld splitterfasernackt - nur durch die Selbstdemütigung als Fürthfan, mittels Lippenstift, schafft er es, nach Hause zu kommen: In einer S-Bahn voller Fans von Greuther Fürth. Nicht aus Hamburg, sondern Bremen (und ins Finale), kam Sebastian Butte, als cholerisch-nostalgischer Lehrer. „Jeder ist sein eigener Freak“, wusste Stefan Dörsing- er persönlich droht gern mal mit einem Besuch der Power Rangers: „Bei jedem spukt's im Kopf, bei jedem muht's unterm Schopf.“ Prompt war der Wetzlarer eine Runde weiter. Eine beachtliche Slam-Titelsammlung hat Jonathan Baumgärtner: Der Wahlnürnberger aus Wipfeld sinnierte über den „Runner's High“ - die Unfähigkeit, im Leidensrausch mit dem Lebenslauf aufzuhören. Und, frei nach Star Trek und Augustinus: „Die Zeit ist wie Feuer, sie kann uns wärmen, sie kann uns vernichten“. Das Ticket in die Endrunde. Prosaisch nennt man es „Postraumatische Belastungsstörung“, bei Autorin Sibylle Schreiber aus Fallersleben ist es eine Art Gewaltinfektion, die von kaputt gebombten und zerschossenen Seelen aus um sich greift: Ein Soldat (üb-)erlebt einen Anschlag in Kabul, ein Kamerad und Familienvater nicht. Die plakative, aber auch sehr plastische, eindringliche Geschichte eines kindlichen Selbstmordattentäters ging (zu Unrecht) in der Wertung verloren. Auf der Suche nach der Poesie im Leben ist Sage Dragon aus Forchheim: Besser temperamentvoll Sprache verbreiten als verstauben. „Die Lehrbücher haben uns verraten“, findet „Frau Wortwahl“ aus Nürnberg, bei ihr ging es ums Scheitern an einer „Chinesischen Mauer der Emotionen“. Marilisa aus Schweinfurt dichtete über ihren Großvater - und schaffte gewitzt den Übergang zu Newt Gingrich, den Polit-Opa im US-Präsidentschaftswahlkampf.

    In der Endrunde lieferte Pädagoge Butte eine politische Brandrede („Es kann doch nicht sein?.“): In der Wertung der Porzellanschweinchen (die vom Publikum auf die Kübel-Trophäen verteilt wurden) war's Platz 2. Eva Stepkes brach mit Herzschmerz zusammen und landete auf Platz 4. Jonathan Baumgärtner übertrug Solschenizyns „Archipel Gulag“ auf die eigene Gegenwart, als beklemmende Selbstanklage: Ist nicht jeder ein Fall für den Haftrichter? Dafür gab's einen Karton mit Publikumsspenden und die Bronzeschlachtschüssel. Stefan Dörsing begab sich ins „Rotlichtmilieu der Wahrheit“. Der Gewinner der goldenen Schlachtschüssel war gefunden.

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