„Die Untergrund-Uni war für uns die einzige Möglichkeit zu studieren. Im Iran haben wir keine Bürgerrechte“, sagt Mehrnoosh Azari. Sie gehört der Religion der Bahá'í an. Eine von vier Religionen, die bei der interreligiösen Shuttletour teilnehmen.
Organisiert hat die Tour Pfarrer Sommerhoff. Ein Mann mittleren Alters, schlank, brauner Vollbart mit einigen grauen Härchen. Er leitet den Interreligiösen Gesprächskreis in Schweinfurt, in dem die Idee der Tour entstanden ist. „Ich glaube, die Menschen haben vor anderen Religionen oft Angst, was auf Unwissen basiert. Das können wir heute vielleicht ein bisschen abbauen,“ meint der Pfarrer. „Außerdem machen das die Würzburger schon seit Jahren. Da dachten wir, wir könnten das im Rahmen der interkulturellen Wochen auch mal ausprobieren.“
Ein Gott mit vielen Namen
Vier Religionen stehen auf dem Plan. Neben bekannten, wie dem Islam und dem Christentum, unter anderem auch die Bahá?í. Nicht nur Mehrnoosh Azari, sondern auch Janet Rawling-Keitel ist Bahá'í. Die kleine, zierliche Frau spricht mit klarer und ruhiger Stimme. Sie strahlt eine tiefe Ruhe und Wärme aus. „Wir glauben, dass es nur einen Gott gibt, er hat sich der Menschheit im Laufe der Geschichte unter verschiedenen Namen offenbart.“ Die Australierin erzählt über die Anfänge der noch jungen Religion, die ihren Ursprung im heutigen Iran hat. Die sechs Millionen Anhänger sind in 189 Ländern verteilt. Sie spricht über die Kernsätze der Bahá?í – die Einheit Gottes, der Religion, der Menschheit. „Da unsere Religion noch sehr jung ist, haben auch wir mit Verfolgung zu kämpfen. Wie viele andere Religionen auch in ihren Anfängen.“
Tanzen zu türkischer Musik
„So, weiter geht?s zu den Aleviten.“ Pfarrer Sommerhoff läuft zufrieden durch den Bus und verteilt letzte Infoblätter an die 26 Teilnehmer. Vor allem Kinder und Jugendliche nehmen an der Tour teil. Die meisten sind Ministranten des Pfarrers. Als der Bus hält, springt Sommerhoff hinaus, stellt sich mitten auf die Straße und zwingt die Autofahrer zum Anhalten. Gegenüber ist das Zentrum der Aleviten. Eigentlich sieht das unscheinbare Gebäude mit der Laderampe mehr nach einer Lagerhalle aus. Über eine schmale Treppe geht es zum Eingang. Nur ein kleines Schild weist darauf hin, dass die Teilnehmer hier richtig sind.
Im Gebäude steht ein fünfköpfiges Empfangskomitee. Jeder Einzelne wird mit Handschlag und einem „herzlich willkommen“ begrüßt. Der Raum ist holzvertäfelt. Vorne steht eine Musikanlage, auf dem Podest liegt eine Baglama, eine Art Laute, die die Aleviten für ihre Zeremonien benutzen, und drei Kerzen. „Das höchste Gebot der Aleviten ist Toleranz. Wir legen den Koran nicht wörtlich aus und beten nicht in Moscheen“, sagt Zafer Yilmaz, der Vorsitzende des Vereins Alevitische Gemeinde Schweinfurt.
Nach dem Vortrag gibt es Pide, Salat und Pizza. „Machen Sie doch mal Musik an, die Leute wollen tanzen“, sagt der Pfarrer zu Zafer Yilmaz. Sobald die Musik erklingt, stürmen die Teenager die Tanzfläche und tanzen traditionelle türkische Volkstänze. Bald darauf geht es über einen Firmenhof weiter zur dritten Station – der Ditib-Moschee.
Einladung zum Gebet
Inayet Azgin, eine freundlich wirkende Frau, führt die Gäste der Shuttletour in den Gebetsraum. Überall ist roter Teppich mit blauen Verzierungen ausgelegt. Die Wände sind mit Kalligrafie und Blumenornamenten geschmückt. Es duftet nach Rosenwasser. Azgin erzählt zusammen mit dem Imam über die Riten des Islam. Imam Haydar Erkoc ist ein Mann mittleren Alters. Er hat einen grauen Vollbart, trägt eine traditionelle, weiße Kappe und einen weißen Mantel mit goldenen Verzierungen. Erkoc wirkt mit seinen strahlenden Augen gutmütig und gerecht.
Die Frage eines Teilnehmers, ob es einen freien Teil beim Gebet gäbe, der individuell gestaltet werden kann, beantwortet er ausführlich. Inayet Azgin übersetzt, denn der Imam ist erst seit zwei Wochen in Schweinfurt. „Die Gebete werden auswendig rezitiert. Die Kinder beginnen ab dem Kindergarten den Koran auswendig zu lernen.“
Kurz nach 13 Uhr wird es voll. Knapp 20 ältere Männer verteilen sich still im Raum. Der Imam beginnt zu beten. Die Männer tun es ihm gleich. In der Zwischenzeit sitzen die Gäste der Shuttletour im hinteren Teil des Gebetsraums, beobachten fasziniert das Geschehen.
Gelebte Ökumene
Die letzte Station der interreligiösen Shuttletour führt die Teilnehmer zur griechisch orthodoxen Kapelle des heiligen Antonius in der Deutschhöferstraße. In dem Kellergemäuer ist es kalt. Überall an den Wänden Ikonen. Die Farben sind warm, es wurde viel Gold verwendet. Alles wirkt sehr festlich. Ein schwerer Duft von Weihrauch liegt in der Luft.
Martinus Petzolt ist eine Erscheinung. Der Priester trägt ein schwarzes, langes Gewand, darüber eine lange, schwarze Jacke, auf dem Kopf eine ebenfalls schwarze Kappe, dazu der lange Rauschebart. Der Priester redet in seiner warmen, tiefen Stimme über den Glauben, das Beten und den Altarraum. „Der wird nur zum Abendmahl feiern genutzt und ist bei uns abgetrennt. Da kann dann nicht jeder einfach so hinlatschen.“
Petzolt sagte sofort zu, als ihn Pfarrer Sommerhoff anrief und bat, den christlichen Part der Shuttletour zu übernehmen. „Ich finde es eine schöne Idee, dass man nicht zu Protestanten, Katholiken und Orthodoxen geht, sondern sich eine Strömung raussucht. Das ist doch gelebte Ökumene.“