Nach exakt 116 Jahren geht ein Stück Schweinfurter Industriegeschichte zu Ende. Auf dem Papier. Mit dem heutigen Tag endet nämlich die rechtliche Eigenständigkeit der am 1. August 1895 als Offene Handelsgesellschaft gegründeten ZF Sachs AG. Unter dem Namen „Schweinfurter Präcisions-Kugellagerwerke Fichtel & Sachs“ war sie ins Handelsregister eingetragen worden. Das Unternehmen blieb bis Mitte der 80er Jahre im Familienbesitz, kam 1987 mehrheitlich zu Mannesmann und wurde nach einem Zwischenstopp bei Siemens 2001 von der ZF Friedrichshafen AG übernommen.
Seitdem hat sich Sachs als Marke im Konzern sehr gut behauptet und mit seinen Produkten für das Automobil-Fahrwerk und dessen Antriebsstrang einen wesentlichen Beitrag zur positiven Entwicklung des drittgrößten deutschen Automobilzulieferers geleistet. Im letzten Jahr war ZF Sachs mit 2,6 Milliarden Euro am Gesamtumsatz von 12,9 Milliarden Euro beteiligt.
Die jetzt greifende rechtliche Verschmelzung ist Teil der Gesamtstrategie des Konzern, klare Strukturen auch gegenüber den Kunden zu schaffen. Sie ist zumindest öffentlich nicht auf Kritik gestoßen. Mit dem bisherigen Personalvorstand Karl-Heinz Schmitz gibt es einen Verantwortlichen für den Standort, der verschiedenen Unternehmensbereichen – Pkw-Antriebstechnik, Pkw-Fahrwerktechnik, Nutzfahrzeugtechnik – zugeordnet ist.
Die Geschichte von Sachs ist eng verbunden mit dem Aufstieg Schweinfurts vom Provinzstädtchen, das Ende des 19. Jahrhunderts von Handwerk und Handel geprägt war. 13 500 Einwohner zählte die Stadt, als der 27-jährige Ernst Sachs an den Main kam. Der erfolgreiche Radsportler im Frankfurter Velocipedclub war auch ein begnadeter Handwerker. Nach einer in Bad Kissingen behandelten Sportverletzung arbeitete Sachs in Schweinfurt und entwickelte eine Fahrradnabe, die 1893 patentiert wurde. Zusammen mit dem einer arrivierten Bürgerfamilie entstammenden Karl Fichtel gründete er 1895 die„Schweinfurter Präcisions-Kugellagerwerke Fichtel & Sachs“ und schaffte acht Jahre später mit der Torpedo-Freilaufnabe den wirtschaftlichen Durchbruch. Als Fichtel 1911 starb, beschäftigte das Unternehmen bereits 2600 Mitarbeiter und hatte Zweigwerke in europäischen Nachbarländer und in den USA.
Die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg und die folgende Inflation führten zu einer Renaissance des Fahrrads mit einem rasant anwachsenden Bedarf an Naben. Die Krise ging jedoch auch an Sachs nicht problemlos vorbei. Als die Inflation 1923 zu ihrem Höhepunkt kam, wollte der mit jedem privaten Pfennig haftende Ernst Sachs das Risiko nicht mehr allein tragen und entschloss sich, sein Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Das Kapital von 100 Millionen Mark, aufgeteilt in 9400 Aktien mit einem Nennwert von 10 000 Mark und 120 Aktien zu 50 000 Mark, blieben im Besitz der Familie und der Witwe Karl Fichtels. Vorsitzender des Vorstands wurde Ernst Sachs, Sohn Willy rückte mit in das vierköpfige Führungsgremium ein. Gezahlt wurde in den ersten Jahren eine Rendite zwischen sechs und acht Prozent. Als Ernst Sachs 1932 starb, hatte sich Schweinfurt zu einem Industriezentrum mit 33 000 Einwohnern und 10 000 industriellen Arbeitsplätzen entwickelt.
Unter Willy Sachs und dessen Söhnen Ernst Wilhelm und Gunter blieb Fichtel & Sachs auch als Aktiengesellschaft ein Familienunternehmen. Zu Beginn der 70er Jahre hat sich Gunter jedoch mit dem Verkauf seiner Anteile beschäftigt. Der in der Schweiz aufgewachsene bekennende Playboy hatte mit dem Industrieunternehmen wenig im Sinn und wurde in Schweinfurt auch mit einiger Skepsis besehen. Nach dem Unfalltod des Bruders im April 1977 ging er den Verkauf ernsthaft an, scheiterte jedoch zunächst an den Kartellbehörden. Am 26. August 1986 wurde dann gemeldet, dass sich Gunter Sachs von den meisten seiner Anteile getrennt habe. Gut zwei Jahre später stiegen auch seine Nichten Monika, Elionor und Caroline aus.
Der Mannesmannkonzern wurde Hauptaktionär und übernahm 1991 das Unternehmen komplett. Nach der Übernahme des ehemaligen Röhrenherstellers und zum Mobilfunkanbieter gewandelten Konzerns durch Vodafone, kam Sachs zunächst zu Siemens und 2001 schließlich zu ZF.
In der AG waren zuletzt 17 400 Mitarbeiter beschäftigt, 7800 davon in Schweinfurt, zusätzlich sind hier rund 800 bei ZF Services tätig.