Sehr geehrter Herr Köhler,
ich spreche wohl für uns beide, wenn ich sage: Die Vorweihnachtszeit haben wir uns anders vorgestellt. Doch statt zum Jahresende zur Ruhe zu kommen und sich auf das Schöne im Leben zu besinnen, hat die Politik in Berlin offenbar nichts Besseres zu tun, als Ihnen und den Landwirtinnen und Landwirten ein teures Geschenk unter den Baum zu legen.
Die angekündigten Kürzungen der Agrargelder haben Sie und viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen kalt erwischt. Ein Drittel der insgesamt drei Milliarden Euro klimaschädlicher Subventionen, die jetzt gestrichen werden sollen, zwackt der Bund aus der Landwirtschaft ab. Sie sagen, dass das eine "totale Überbelastung dieser Gesellschaftsgruppe" sei. Dass viele der Landwirte mit dem Rücken zur Wand stehen und durch den Wegfall dieser Gelder einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verlieren würden.
Und ich stimme Ihnen zu: Wenn einem Betrieb plötzlich zehn, zwanzig Prozent seines Gewinns wegbrechen, ist das enorm belastend. Ein landwirtschaftlicher Betrieb weiß zu Jahresbeginn nie, wie sich das Jahr, die Ernte, der Preis am Markt entwickeln werden. Weiß nicht, ob das Geld ausreicht, um sechsstellige Kredite für teure Maschinen, die Altersvorsorge und den Familienunterhalt zu finanzieren.

Im Angesicht der vielen Krisen und des Klimawandels birgt jedes Jahr neue Risiken. Glauben Sie mir, Herr Köhler: Als Sohn eines Landwirts kann ich nachvollziehen, wie sich viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen aktuell fühlen. Ich weiß, wie groß der Frust in der Branche ist, wie widersprüchlich die Politik manchmal handelt und welchen Rattenschwanz jede weitere Auflage oder Kürzung mit sich zieht.
Immer neue Auflagen und Zwänge: Die Geduld vieler Landwirte ist am Ende
Ich kann auch verstehen, dass die Geduld vieler Landwirte am Ende ist. Innerhalb weniger Jahre werden immer strengere und in Teilen auch notwendige Auflagen auferlegt. Gleichzeitig fühlen sich viele Bäuerinnen und Bauern als die Buhleute der Nation. Kaputte Böden, Insektensterben und Tierquälerei ausschließlich den Landwirten vorzuwerfen, ist jedoch falsch und wird den Bäuerinnen und Bauern nicht gerecht.

Für Sie fühlt es sich aber so an, habe ich Recht? War ja klar, dass der Staat es wieder Mal bei den Bauern holt, wenn der Fiskus Geld sparen muss. Mit denen kann man es ja schließlich machen . . .
Und deshalb wissen sich viele Landwirte nicht mehr anders zu helfen, als den Ton gegenüber der Politik zu verschärfen. Auch mir ist auf zahlreichen Veranstaltungen von Landwirten in den vergangenen Jahren aufgefallen, dass die Stimmung dem Staat und seiner Vertreterinnen und Vertreter gegenüber immer aggressiver geworden ist. Schließlich gibt es ja auch immer wieder eine neue Maßnahme, einen nächsten Anlass, um sich aufzuregen.
Kritik der Landwirte ist berechtigt - Bedrohung auf keinen Fall
Die Kritik vieler Landwirte ist berechtigt. Und wer sich in einer Demokratie an etwas stört, kann und soll seine Meinung dagegen kundtun. Was meiner Ansicht nach jedoch nicht geht, ist, dass Menschen anfangen, andere zu bedrohen - mögen die Positionen noch so gegensätzlich sein.

Wer Politikerinnen und Politiker oder deren Mitarbeitenden droht, entfernt sich vom Rechtsstaat. Wenn Sie mich fragen, ist nichts dabei, Misthaufen oder Steine aus Protest vor ein Abgeordnetenbüro zu legen. Doch dass eine bekennende Querdenkerin, Corona-Leugnerin und Verschwörungstheoretikerin mit einem Megafon das Wort ergreift und vorgibt, die Stimme der Bauern zu sein, darf einfach nicht passieren.
Proteste dürfen nicht unterwandert werden
Ich halte es für absolut wichtig und richtig, dass die Landwirte gegen die aktuellen Kürzungen protestieren. Doch genauso wichtig ist es, dass sich die Protestbewegung der Landwirte dabei nicht mit Querdenkern und rechtsnationalen Verschwörungstheoretikern gemein macht. Wer sich mit Menschen zusammen tut, die andere anfeinden, schadet damit seinem eigentlichen Anliegen.
Dass Sie sich, Herr Köhler, und der Deutsche Bauernpräsident Joachim Rukwied als oberste Vertreter der Bäuerinnen und Bauern von derlei Verhalten distanzieren, ist wichtig. Gerne hätte ich aber von Ihnen gehört, dass Sie sich als Sprecher der unterfränkischen Landwirte noch schärfer distanzieren von Verschwörungstheoretikern und Extremisten, wie sie in der Vergangenheit schon vereinzelt bei anderen Protesten der Landwirte mitmarschiert sind.

Sehr geehrter Herr Köhler, ich habe in den vergangenen Tagen viele Gespräche mit Landwirten geführt. Ich bin fest davon überzeugt, dass die überwältigende Mehrheit weder radikal noch feindselig ist. Helfen Sie mit Ihrer Stimme, die berechtigten Anliegen der Bäuerinnen und Bauern zu unterstützen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen fröhliche Weihnachten,
Marcel Dinkel, Redakteur
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