Geduldig wartet der junge Mann auf sein Lamm, das er sich Tage vorher aus der Herde ausgesucht hat. Es regnet in Strömen, das scheint ihm nichts auszumachen. Als er schließlich an der Reihe ist, legt er dem Tier die Hand auf den Kopf und erteilt einem Bekannten die Erlaubnis, das Lamm für ihn zu schneiden. Es ist Kurban Bayrami, das Opferfest der Moslems, das in diesem Jahr auf den 16. November fällt. Am Kurbanfest herrscht Hochbetrieb bei Füllers. Seit 35 Jahren kommen Moslems aus Schweinfurt und Umgebung zur Schäferei in Stettbach, um an diesem höchsten Feiertag zu tun, was ihnen der Koran vorschreibt: ein Tier zu opfern und vom Fleisch den Armen zu geben.
Um es vorwegzunehmen: Die Tiere werden nicht geschächtet, also ohne Betäubung getötet, sondern nach dem europäischen Tierschutz- und Lebensmittelgesetz in einem nach EG-Recht zugelassenen Betrieb geschlachtet. Auf diese Feststellung legt Dr. Thomas Wiethe, Leiter des Veterinäramtes Schweinfurt großen Wert. Schächten ist in Deutschland grundsätzlich verboten, wird nur unter strengsten Auflagen in Ausnahmefällen genehmigt. Offizielle Anträge auf eine Ausnahmegenehmigung hatte Wiethe in seinen 15 Jahren noch nie auf dem Schreibtisch, nur eine einzige Anfrage.
Zurück auf den Hof. Der junge Mann darf nicht mit ins Schlachthaus. Er bleibt an der Türe stehen und sieht zu, wie sein Tier auf ein Eisengestell, den Schragen, gelegt wird. Schäfermeister Alexander Füller hält das Lamm fest, Metzger Robert Helfer legt die Elektrozange an die Schläfe, mindestens vier Sekunden lang, wie es das Gesetz vorschreibt. „Das Tier wird sofort bewusstlos, das dauert keine Sekunde“, sagt Thomas Wiethe. Dann muss es sehr schnell gehen. Ein Mann aus der Familie, die das Lamm gekauft hat, oder ein Beauftragter darf den Halsschnitt setzen. Nur an diesem einen Tag, nur unter Aufsicht und nur, wenn er das gut kann.
Die Schlacht-Methode ist immer die gleiche, ob das Fleisch als „helal“, also für Muslime erlaubt, an ein türkisches Geschäft geht oder an die Fleischtheke eines deutschen Supermarktes. Die meisten Muslime akzeptieren inzwischen die Betäubung vor dem Schnitt, auch die Islam-Autoritäten. Hauptsache, das Tier lebt noch und kann vollständig ausbluten. Das geht sehr schnell. Während der Mann, oft ist es das Familienoberhaupt, den Schnitt macht, spricht er leise das vorgeschriebene Gebet. Das Ausbluten dauert vielleicht zwei Minuten. Der Körper muss noch eine Weile festgehalten werden. Die Beine zucken. „Unbewusste Reflexe, die das Tier nicht mehr wahrnimmt“, sagt Wiethe. Das Lamm ist tot.
Füller und seine Helfer häuten es und nehmen es aus. Ein Amtstierarzt macht die Fleischbeschau. Während das nächste Tier schon auf dem Schragen liegt, trägt Valentin Pfister den schweren Schlachtkörper hinaus und übergibt ihn der Familie. Der Fleischbeschauer hat 25 Jahre lang bei den Füllers gearbeitet und hilft am Opferfest mit. An diesem Tag wird jede Hand gebraucht.
Auch Seniorchefin Rita Füller ist schon lange auf den Beinen. Noch bevor die Männer kommen – die meisten sind Türken – hat sie eine riesige Thermoskanne Kaffee gekocht und in die Garage gestellt. Jeder darf sich bedienen. Als sie vor 35 Jahren auf den Hof geheiratet hat, kamen nur wenige Muslime am Opferfest zum Schlachten, inzwischen sind es viele. 50 bis 60 Tiere werden dieses Jahr wohl geschlachtet. Zeit zum Reden hat Rita Füller nicht. Ein großer Eimer steht schon wieder gefüllt vor dem Schlachthaus. Mägen, die sie in einem Wasserbottich reinigt und später den Hunden füttert. Es riecht. Schlachten ist nichts für Zartbesaitete.
Inzwischen hängen drei geschlachtete Tiere draußen am Radlader am Haken. Es sieht aus wie bei der guten alten fränkischen Hausschlachtung – „und so läuft es auch ab“, sagt Thomas Wiethe. Sobald der Tierkörper das Schlachthaus verlassen hat, sind die Kunden für die Hygiene verantwortlich, nicht mehr der Schäfermeister oder der Tierarzt. Die Männer zerteilen ihre Lämmer und packen das Fleisch ein.
„Heute ist ein großer Festtag“, sagt Nevzat Aydin. Begonnen hat er mit dem Opfergebet in der Moschee. Nach dem Schlachten wird zuhause gefrühstückt. Alle tragen schöne Kleider, am Nachmittag besucht man seine Eltern und ältere Verwandte und verteilt das Fleisch an jene, die nicht schlachten konnten. „Hungrige gibt es im reichen Deutschland ja nicht mehr“, sagt Aydin. Deswegen spenden viele Geld anstatt zu schlachten – für Glaubensbrüder in ärmeren Ländern.
Und was ist mit dem Schächten? Ist es doch ein Thema? Was ist mit den Gerüchten, die sich hartnäckig halten, es gebe im Landkreis den einen oder anderen Bauern oder Koppelhalter, bei dem man sich ein Lamm kaufen und ohne Betäubung schlachten kann? Von den Muslimen will keiner offiziell etwas sagen, aber einige meinen, sie hätten davon gehört. Thomas Wiethe betont, er habe von solchen Missständen keine Kenntnis und habe auch noch nie eine Anzeige erhalten. Er ist froh, dass die Muslime die Möglichkeit haben, an diesem für sie so wichtigen Tag bei Familie Füller schlachten und damit ihre Tradition leben zu können.