Die Schaeffler AG kann sich bei ihren sechs Ex-Managern und zwei Ex-Vorständen nicht schadlos halten für etwaige Millionen-Kosten, die ihr aus einem möglichen Strafverfahren und sonstigen Folgekosten wegen der jahrelangen Schmiergeldzahlungen bei Geschäften in der Türkei entstehen könnten. Die Schweinfurter Kammer des Arbeitsgerichts Würzburg hat die Klage des Herzogenauracher Automotive- und Industrietechnik-Hersteller am Dienstagmorgen in vollem Umfang abgewiesen.
Richter: Untätigkeit des heutigen Chefs Rosenfeld ist „verjährungsauslösend“
Grund für die Schaeffler-Schlappe: Die Ansprüche seien verjährt und verwirkt, so der Vorsitzende Richter Frank Bechtold. Das Pikante daran: „Verjährungsauslösend“ ist laut Bechtold ausgerechnet die „Untätigkeit“ des damaligen Finanzvorstands und heutigen Vorstandsvorsitzenden Klaus Rosenfeld. Dieser habe nach einer Mitteilung des Compliance-Beauftragten vom Schmiergeldsystem in der Türkei bereits im Oktober 2011 erfahren. Da hätten bei ihm – der als früherer Finanzvorstand der Dresdner Bank auch für Compliance zuständig war – „alle Alarmglocken schrillen müssen“.
Dreijährige Verjährungsfrist bei weitem überschritten
Die Klage auf Schadensersatz beziehungsweise „dinglichen Arrest“ von Vermögen der mutmaßlich Verantwortlichen und der beiden beklagten Ex-Vorstände, darunter der frühere Vorstandsvorsitzende Jürgen Geißinger – ist aber erst im Januar 2016 beim Arbeitsgericht eingegangen. Damit war die dreijährige Verjährungsfrist bei weitem verstrichen. Seit Ende 2014 könne Schaeffler keine Ansprüche mehr gegen die acht Beklagten geltend machen.
„Eine ausgeprägte Kultur des Wegschauens“
In eine ausführliche Betrachtung der einzelnen Korruptionsfälle und Verantwortlichkeiten musste das Gericht deshalb erst gar nicht einsteigen. Doch die zahlreichen Akten hat Richter Bechtold gelesen und bei seiner Urteilsbegründung zu deutlichen Worten gegriffen. Im Unternehmen Schaeffler, so Bechtold, „scheint eine ausgeprägte Kultur des Wegschauens geherrscht zu haben“. Bei den Schmiergeldgeldgeschäften in der Türkei seien „nahezu mafiöse Strukturen zu erkennen“ gewesen, so der Kammervorsitzende. Dabei zitiere er die „Wortwahl der Klägerin“, also der Schaeffler AG.
191 Fälle von Korruption seit mindestens dem Jahr 2000
Seit mindestens dem Jahr 2000 seien 191 Korruptionsfälle im Türkeigeschäft von Schaeffler registriert und 873 000 Euro Schmiergeld aus einer „Schwarzgeldkasse“ gezahlt worden, zitierte Bechtold aus den Akten weiter. Der lange Zeitraum deute auf „erhebliche Kontrolldefizite hin, die durch die Mitarbeiter als Duldung verstanden werden konnten und verstanden wurden“.
Auch mündliche Information hätte zu Gegenmaßnahmen führen müssen
Die Schaeffler-Anwälte hatten argumentiert, der heutige Vorstandschef Rosenfeld sei im Oktober 2011 eher beiläufig mündlich vom Compliance-Beauftragten über die Unregelmäßigkeiten bei der Auftragsakquise in der Türkei informiert worden, jedenfalls nicht schriftlich. Das Gericht ließ das nicht als Entschuldigung dafür gelten, dass er der Schmiergeldsache nicht umgehend weiter auf den Grund ging.
Diese auch mündlich erteilte Informations sei jedenfalls als „verjährungsauslösend“ anzusehen, womit die etwaige Ansprüche des Unternehmens gegen die Ex-Beschäftigten in einer erst im Januar dieses Jahres am Arbeitsgericht zugestellten Klage verjährt und verwirkt seien.
Streitwert: 62,5 Millionen Euro
Den Streitwert bezifferte Richter Bechthold auf jene 62,5 Millionen Euro, die bei der Verhandlung am Dienstag erstmals als mögliche Schadenshöhe genannt wurden. Die Zahl stammt vom Compliance-Beauftragten der Schaeffler AG. Im „Arrestverfahren“ im Februar waren noch 12,7 Millionen die Obergrenze. Nach dem Streitwert von 62,5 Millionen Euro richten sich die Anwaltsgebühren, die jeder – Kläger wie Beklagte – selbst zu tragen haben. Für einige der beklagten Ex-Mitarbeiter, die keine Spitzenverdiener gewesen seien, wären laut einem der Anwälte die Kosten existenzbedrohend oder könnten in voller Höhe schlicht nicht aufgebracht werden.
Berufung gegen das Urteil ist möglich
Die Schaeffler AG teilt mit, sie habe die Gerichtsentscheidung zur Kenntnis genommen und werde nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung entscheiden, wie sie weiter vorgeht. Gegen das Urteil ist Berufung zum Landesarbeitsgericht Nürnberg möglich.