Schock in der Kunsthalle. Am Mittwoch hat eine Putzfrau die Gefäßskulptur von Hans Karl Kandel zerstört. Vor ein paar Tagen hatte der Bildhauer noch gesagt, wie froh er sei, wenn die Arbeit wieder heil im Atelier steht. Die beiden feinwandigen Gefäße aus Gips waren sehr empfindlich. Bei ihrem Anblick, so sagte Kandel, werde sich der Mensch seiner eigenen Verletzlichkeit bewusst. Trotzdem wollte er sie nicht eingrenzen, die Besucher sollten nahe herantreten und hineinschauen können.
Seit Joseph Beuys' Fettecke rigoros weggewischt wurde, ist das Verhältnis zwischen Putzfrauen und Kunst kein ungetrübtes. Auch die Kunsthalle hätte wenige Tage vor ihrer Eröffnung 2009 beinahe ihren „Putzfrauen-Skandal“ gehabt. Eine Reinigungskraft versuchte, die „Fusseln“ von der Wandarbeit „Nach dem Bade“ von Bettina Bätz wegzureiben, konnte in letzter Sekunde davon abgehalten werden, Schaden anzurichten.
Nun hat es die wunderbare Arbeit von Kandel erwischt, die für jene, die genau hinschauten, zu den poetischsten der Triennale zählte. Manche Besucher gingen freilich achtlos an den zwei Gefäßskulpturen vorüber. Ein kurzer Blick von der Seite und sie meinten, alles gesehen zu haben. Dabei offenbarte die Arbeit ihre ganze Schönheit und Aussagekraft erst beim Blick ins Innere. Bei dem einen Gefäß konnte der Betrachter bis zum Fußpunkt blicken, er konnte Wände und Kanten erkennen, beim anderen sah er: nichts. Er blickte in einen scheinbar unendlichen hellen Raum, ins Nichts.
Kandel, 1946 in Schwabach geboren, ist ein eher leiser Zeitgenosse, alles schrille, bunte, laute, marktschreierische ist ihm fremd. Seit vielen Jahren arbeitet er ausschließlich mit Gips, den er zu weißen Skulpturen gießt, die meist an archaische Gefäße erinnern. Sein Thema ist das Fassen von Raum, man könnte auch sagen das Umfassen von Raum oder – um den französischen Philosophen Jacques Lacan zu zitieren – die Gefäße entstehen um die Leere, um das Nichts herum. Genau diese faszinierende Erfahrung ermöglichte der Blick in eines der Gefäße.
Begonnen hatte Kandel nach seinem Studium der Bildhauerei in Nürnberg mit Stahl, was ihn nach einigen Jahren an seine körperlichen Grenzen brachte. Am Material Gips hatte ihn schon immer fasziniert, mit welch' geringem Aufwand – man braucht nur Gipspulver und Wasser – großartige Ergebnisse erzielt werden können. Man denke an Stuck. In der klassischen Bildhauerei dient Gips oft als Material für Modelle, bei Kandel setzt es den Endpunkt.
Der 65-Jährige liebt das Weiß dieses Materials, das die reduzierte Form der Skulpturen unterstreicht. Weiß steht für Schlichtheit, auch für Reinheit, es schließt jede Ablenkung aus. Und es eignet sich wunderbar als Reflexionsfläche für Licht. Kandels Skulpturen sehen in jedem Licht und an jedem Ort anders aus. Das Weiß changiert vom kaum wahrnehmbaren Blau am Morgen über ein sanftes Grau am Mittag bis hin zu zartem Rosa im Abendlicht. „Die Arbeiten leben mit dem Licht“, sagt Kandel. Diese Wirkung wird durch die glatte Oberfläche noch verstärkt.
Damit sind wir beim Herstellungsprozess, bei dem auch das Geheimnis des „Nichts“ enthüllt wird. Für diese Skulptur ohne Titel baute er aus Styropor drei Halbkugelformen mit unterschiedlich großen Radien und übergoss sie mit Gips. Die kleinste Halbkugel ließ er vollständig. Sie bildete die Basis für das Gefäß. Aus den beiden größeren schnitt Kandel quasi zwei Ringe, setzte alle drei Formen aufeinander, gipste sie zusammen und schliff die Oberfläche glatt. Beim zweiten Gefäß aber ließ er die obere Halbkugel ganz und setzte sie in den mittleren Ring. So kommt es, dass der Betrachter nicht bis zum Boden schauen kann. Bei dem diffusen Oberlicht in der Großen Halle bildeten sich keine Schatten, der Betrachter konnte also die Rundung nicht sehen und so entstand der faszinierende Effekt.
Von der Seite betrachtet glichen sich die zwei Gefäße wie ein Ei dem anderen. Ihre Unterschiedlichkeit offenbarte sich erst beim Näherkommen. Kandel arbeitet gerne mit dem Prinzip der Verdopplung, er spricht von „einer Skulptur als zweiteiliger Ganzheit“, von einem „ich und du“. Die Gefäße sollten durchaus als Körper wahrgenommen werden, was der Bildhauer durch die beiden Schnäuzchen noch unterstrich. Kandel selbst spricht lieber von Lippen. Die mussten sich genau gegenüber stehen.
Auch wenn möglicherweise eines der beiden Gefäße erhalten blieb – genaues ist noch nicht bekannt – bedeutet die Zerstörung des einen für Kandel den Totalschaden. Denn die Skulptur funktioniert nur in der Dopplung, sagt er. Die zerstörte Arbeit lasse sich auch nicht einfach neu machen.
In dieser Serie stellen wir die Künstler der Triennale für zeitgenössische Kunst vor. Die Ausstellung ist bis 23. September in der Kunsthalle zu sehen. Mehr auf www.hanskarlkandel.de