Donnerstag ist Tango-Tag in der Industriestadt am Main. In den Abendstunden solcher Tage locken eigentümliche Melodien in die Kulturwerkstatt Disharmonie. Traurig-schwer klingen sie und streben doch mit Gewalt nach Leichtigkeit. Melancholie in Noten. Die Leute, die den Weg in die Gutermannpromenade 7 finden, schwören auf Musik von Osvaldo Pugliese oder Di Sarli, auf die Klänge des Bandoneón, auf diesen Hauch von Buenos Aires, der in der Luft liegt.
Sechs oder sieben Paare bilden ein Rund um Gregorio Garrido und Dina Anders. Die beiden, die in Nürnberg die Tangoschmiede betreiben, sind in der Szene eine bekanntes Paar. Trotz Engagements von London bis Prag haben sie sich von Marion Müller gewinnen lassen, in Schweinfurt ein wenig Aufbauhilfe zu leisten. Einmal pro Woche vermitteln sie hier etwas von ihrer eleganten Kunst.
Allein das Zuschauen macht Spaß und ist natürlich viel einfacher, als sich selbst aufs Parkett zu wagen. Es erspart zudem die frustrierende Erfahrung, dass es mit einem gutgemeinten Versuch nicht getan ist. "Das braucht schon seine zwei Jahre, bis es einigermaßen läuft", sagt Gregorio. Sagt jedenfalls Dina, die alles, was Gregorio auf Spanisch erläutert, fast synchron ins Deutsche übersetzt. Gregorio stammt aus Chile, Dina aus Spanien. Der argentinische Tango hat sie in Deutschland zusammengeführt. Hier haben sie aus ihrer Leidenschaft einen Beruf gemacht. Eine Tango-Geschichte wie aus dem Bilderbuch.
Die zwei Jahre, von denen Gregorio spricht, beziehen sich hauptsächlich auf den männlichen Teil der Tanzwilligen, denn Männer müssen im Tango Argentino führen, die Richtung bestimmen, die Figuren vorgeben. Das sollten sie bei anderen Paartänzen eigentlich auch, aber da lässt sich noch ganz gut schummeln. Wer als Mann im Tango Argentino seiner Führungsrolle nicht gerecht werden kann, der sollte lieber sitzen bleiben. Frauen haben es da als Geführte etwas leichter.
Wer nicht nur mittanzen, sondern auch mitreden will, sollte sich einige spanische Ausdrücke aneignen, denn der Tango Argentino kokettiert stark mit seiner lateinamerikanischen Herkunft, auch sprachlich. Einer der wichtigsten Ausdrücke ist "Milonga". Dieses Wort bezeichnet die Veranstaltungen jenseits des Unterrichts, bei denen sich die Tango-Tänzer treffen, um sich ihrer Leidenschaft hinzugeben.
Milongas werden auch in Schweinfurt angeboten, jeweils donnerstags ab 21 Uhr nach den Kursen und zusätzlich an manchen Wochenenden. Und dann tauchen im Veranstaltungsprogramm von Tango-Passion solche Begriffe auf wie "Colgadas im Vals", oder "Boleos in Linea". Was das bedeutet, erklären am besten die Tanzlehrer vor Ort. Sieht auf jeden Fall sehr gut aus.
Während die Paare mit glänzenden Augen den Demonstrationen von Gregorio und Dina folgen, hält sich Marion Müller meist dezent im Hintergrund. Sie schmeißt die Bar, erteilt Auskünfte, kassiert die Teilnehmerbeiträge, kümmert sich um die Musik.
Aus dem Grund für ihre Initiative macht sie kein Geheimnis: Als seit Jahren vom Tango Argentino-Fieber infizierte Tänzerin reist sie Woche für Woche durch das Land, immer auf der Suche nach einer guten Milonga. Ein Blick in den Terminkalender des Szenenmaganzins "Tango Danza" zeigt, dass das Angebot in Franken so schlecht nicht ist. Bamberg, Nürnberg, Fürth, Würzburg, Aschaffenburg - überall schreitet die Menschheit im Tango-Takt. Nur Schweinfurt war diesbezüglich bislang Terra inkognita, unbekanntes Land. "Das will ich ändern", sagt Marion Müller und tut das ihre.
Dazu gehört auch, dass sie für die Kursteilnehmer gelegentlich das heimische Wohnzimmer räumt, wenn die Disharmonie donnerstags durch andere Veranstaltungen blockiert ist. Oder die Organisation von Konzerten.
Die Kursteilnehmer sind fast alle schon ein paar Tage älter, auf jeden Fall jenseits der 30. Das entspricht auch der Altersstruktur der Szene an anderen Orten. Und viele von ihnen würden sich allenfalls durch Zufall in eine herkömmliche Tanzschule verirren. Auch das ist typisch. Das Tango Argentino-Publikum hat so seine Eigenheiten.
Das gilt auch für den Tanz selbst. Mit dem europäischen Tango, mit dem alle Besucher obligatorischer Tanzkurse Bekanntschaft gemacht haben, hat der aus Argentinien - trotz gemeinsamer Wurzeln - nur wenig zu tun. Um dies zu erkennen reicht ein einziger Blick: Während der eine nach strengen Regeln funktioniert und sehr berechenbar auftritt, huldigt der andere fast grenzenloser Improvisation. Wo der eine zackig und korrekt wirkt, ist der andere rund und verspielt. Hier Prosa, dort Poesie. Unterschiedlicher können Verwandte kaum sein.
Die ersten Schweinfurter Tango Argentino-Kurse sind bereits abgeschlossen. Die Anfänger vom Herbst letzten Jahres sind fast alle dabei geblieben. Marion Müller zeigt sich zuversichtlich und glaubt, dass ihr Projekt in Schweinfurt gelingt, auch wenn die Aufbauphase noch ein wenig Zeit in Anspruch nehmen wird. Schritt für Schritt geht es vorwärts. Sollten die neuen Anfängerkurse ebenfalls gut angenommen werden, hätte sich der hiesige Stamm bereits verdoppelt.
Auskünfte erteilt Marion Müller, Tel. (09721) 44338, E-Mail: tangopassion@t-online.de.