Natascha Maurer beißt die Zähne zusammen: „Das ist die bisher schmerzhafteste Stelle.“ Die gebürtige Kitzingerin lässt sich bei der fünften Schweinfurter Tattoo und Art Convention ihren Oberarm tätowieren: Pfingstrosen und Kirschblüten, dazu ein Zitat ihrer Lieblingsautorin Virginia Woolf: „I am rooted but I flow.“
Den Spruch wollte sie sich schon lange tätowieren lassen; die Kirschblüten stehen in der japanischen Literatur für den Tod, aber auch für den Beginn von etwas Neuem, wie die studierte Japanologin erklärt. Es ist ihre sechste Tätowierung. Eigentlich wohnt und arbeitet Natascha in Amsterdam. Für ihr neues Tattoo ist sie jedoch extra nach Grafenrheinfeld gekommen.
So wie Natascha hat es am Wochenende rund 3000 weitere Tattoo-Begeisterte in die Altmain-Sporthalle nach Grafenrheinfeld gezogen. Gekommen sind sie aus ganz Deutschland. Besonders auffällig: Die meisten Besucher sind schwarz gekleidet – die Haut ist dafür umso bunter.
Die Tattoo-Auswahl reicht vom klassischen Totenkopf, Anker oder der Teufelsfratze mit langer Zunge über kunstvolle Ornamente, Mandalas, Porträts und gotische Schriftzüge bis hin zu putzigen Katzenbabys, Hundewelpen und schrill-bunten Comic-Helden. Jedes der Motive ist individuell und trägt die Handschrift seines Tätowierers.
Das Reden lenkt ab und hilft gegen den Schmerz
Aus Amsterdam ist Natascha auch deshalb angereist, um sich ihr Wunschmotiv von der Tätowiererin ihres Vertrauens stechen zu lassen: Su Becker vom Tätowierstudio Buena Vista Tattoo Club in Schweinfurt. Die beiden kennen sich schon seit sieben Jahren. „Wenn man so viel Zeit auf dem Tätowiertisch verbringt, wächst man zusammen“, erklärt Nataschas Freundin Kristin. Sie ist mitgekommen, um Beistand zu leisten. Das Reden lenkt ab und hilft gegen den Schmerz; noch zwei Stunden soll die Sitzung dauern.
Für Tätowiererin Su Becker ist es bereits Routine, sich über mehrere Stunden hinweg konzentrieren zu müssen; manche Sitzungen können bis zu neun Stunden dauern. Ihr Studio in Schweinfurt betreibt sie alleine. Davor hat sie 13 Jahre lang in einem Würzburger Studio gearbeitet. Dort hat sie auch eines ihrer ersten Tattoos stechen lassen: „Mich hat das einfach schon immer fasziniert.“ Nach der Geburt ihres Kindes habe sie sich schließlich dazu entschlossen, einen eigenen Laden aufzumachen. Schweinfurt habe sich als „schönes, kleines und schnuckliges Städtchen“ sehr gut geeignet. Bei der Tattoo Convention ist sie bereits zum dritten Mal dabei.
„Wer hier herkommen will, muss verdammt gut sein“, sagt Astrid Klemm. Mit Manfred Walter und Karl Heinz Ottl veranstaltet sie die Tattoo Convention. Das Niveau sei hoch, und das solle so bleiben. Vermutlich haben die Veranstalter auch deshalb prominente Gäste wie Gina-Lisa Lohfink, Ex-Kandidaten der dritten Staffel von Germany?s next Topmodel, Dschungelcamp-Kandidat Florian Wess oder Thaddäus Meilinger und Eric Stehfest aus der RTL-Serie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ eingeladen.
Auch Tätowierer aus dem Ausland sind da
„Alle sollen zufrieden nach Hause gehen – Besucher wie Tätowierer“, so Klemm. Die Veranstaltung versteht sich als Plattform, bei der Tattoo-Interessierte einen Überblick über die verschiedenen Stilrichtungen der Tätowierer bekommen sollen, um den individuell passenden Stil für sich zu finden. Vielfalt werde großgeschrieben. Daher werden nicht nur regionale Künstler wie Su Becker eingeladen, sondern auch Tätowierer aus dem Ausland.
So wie Ed und Nastia Zlotin aus Israel. Ihr Stand steht direkt neben Su Beckers Tätowierstudio. Der gebürtige Weißrusse und die Ukrainerin haben viele Jahre in Tel Aviv gewohnt, sind dann aber vor zwei Jahren nach Berlin gezogen, weil ihnen die Stadt, wie sie selbst sagen, zu „umtriebig und laut“ war. In Berlin arbeiten beide bisher noch in verschiedenen Studios; bald wollen sie aber ihr eigenes Studio eröffnen.
Surreale Motive
Seit sechs Jahren sind Ed und Nastia verheiratet; ihr Tätowierstil könnte aber nicht unterschiedlicher sein: Eds Motive sind grauschattiert und mit klaren Linien gezeichnet, sie wirken abstrakt und oftmals surreal. Nastia mag es eher bunt, ihre Tattoos sehen aus wie Mosaike, meist sind es Tiere oder Blumen.
Die Tattoo und Art Convention war die erste, die Ed und Nastia überhaupt besucht haben. Das war vor zwei Jahren: „Wir wollten an einer kleinen Veranstaltung teilnehmen“, erzählt Nastia, „Die Atmosphäre hier ist total angenehm, und die Leute sind sehr freundlich. Es fühlt sich an wie zu Hause.“ Sie sei schon auf anderen Conventions mit bis zu 300 Künstlern gewesen – da sei es sehr voll und unpersönlich gewesen. Hier hätten sich hingegen gute Verbindungen entwickelt; viele würden sich kennen und freuen sich auf das Wiedersehen nach langer Zeit.
Ein Wiedersehen wird es auch bei Natascha und Su wieder geben. Nach einer dreistündigen Sitzung ist das Tattoo auf ihrem Oberarm bis zur Hälfte fertig geworden. Der nächste Termin steht aber schon: Im April wird sie wieder in das Tätowierstudio von Su Becker nach Schweinfurt zurückkehren. Dann soll das Kunstwerk unter der Haut endgültig fertig werden.