Als es geschah, weilte Schweinfurts Oberbürgermeister Sebastian Remelé noch nicht unter den Lebenden. Doch wie tragisch und traumatisch dieses Ereignis für die ganze Stadt war und wie tief der Schreck den Menschen in den Gliedern steckte, das weiß er aus zahlreichen Berichten von Augenzeugen: Der Rathausbrand des Jahres 1959 hat nicht nur das Gebäude, in dem Remelé inzwischen jeden Tag seinen Amtsgeschäften nachgeht, sehr geprägt, sondern die ganze Stadt.
Daran muss der OB immer dann besonders denken, wenn er die Rathausdiele betritt. Die hat das Flammenmeer zwar überstanden, doch gibt es hier etwas, das noch sehr eindrücklich an das tragische Ereignis erinnert. Und das ist ausgerechnet aus Holz, also einem Material, das doch eigentlich besonders leicht Feuer fängt, sollte man meinen.


Doch der Reihe nach. Es ist der 20. April 1959, etwa 15.30 Uhr. Im Dachstuhl des Rathauses werden Schweißarbeiten durchgeführt. Dabei fängt ein Balken Feuer, was ein Geselle sofort bemerkt. Er kippt einen Eimer Wasser über die Brandstelle – und das Problem scheint behoben, der Mann und seine Kollegen gehen in den Feierabend. Was sie jedoch nicht bemerkt haben: In einer Ritze des Balkens ist noch ein wenig Glut vorhanden, die sich langsam immer weiter ausbreitet und das Gebälk schließlich wieder in Brand setzt.
Inzwischen ist es etwa 20 Uhr. Im Saal des Neuen Rathauses tagt die SPD-Stadtratsfraktion mit Oberbürgermeister Georg Wichtermann (1909-1997). Eine Putzfrau bemerkt den Brand, stürzt in den Saal und ruft: „Es brennt im Alten Rathaus.“ Wichtermann und die Stadträte rennen hinaus – und stellen entsetzt fest, dass der zweite Stock in Flammen steht. Das haben inzwischen auch Schweinfurts Bürger bemerkt, die Rauchsäulen und dann Flammen und Funken aus dem Schieferdach in den Himmel aufsteigen sehen.
Auf dem Marktplatz laufen die Menschen zusammen, aufgeregt, entsetzt und fassungslos. Da hat dieses 1570/72 von Architekt Nikolaus Hofmann erbaute Renaissance-Rathaus, das Wahrzeichen der stolzen und ehemaligen Freien Reichsstadt Schweinfurt, im Zweiten Weltkrieg 15 Bombenangriffe überstanden, um nun den Flammen zum Opfer zu fallen? „Das Rathaus wurde zu einer brennenden Fackel, deren Schein man viele Kilometer weit in der ganzen Umgebung wahrnehmen konnte“, schreibt das Blatt Der Volkswille in einem Sonderdruck.
„Durch die Hitze haben sie sich auf ihren steinernen Sockeln leicht gedreht. Man sieht das besonders gut, wenn man die Ecke des steinernen Sockels mit der hölzernen Ecke der Säule vergleicht.“
Oberbürgermeister Sebastian Remelé.
Innerhalb einer halben Stunde sind bereits 1000 Schaulustige auf dem Marktplatz zusammengelaufen, die heimische Feuerwehr ist immer noch nicht informiert. Erst gegen 20.30 Uhr setzt ein Taxifahrer die Wache in Kenntnis. Notiert ist im Einsatzbericht der städtischen Wehr, dass diese um 20.45 Uhr das Rathaus erreicht.
Löscharbeiten beginnen erst gegen 21 Uhr
Möglicherweise waren zuvor die Feuerwehrmänner der von 1945 bis 2014 in Schweinfurt stationierten US-Streitkräfte eingetroffen, die allerdings keinen Hydranten gefunden und somit untätig herumgestanden haben sollen. Die eigentlichen Löscharbeiten beginnen gegen 21 Uhr. „Zu diesem Augenblick waren die Flammen schon durch die Balkendecke gedrungen und hatten den Dachstuhl erreicht. […] Bis zu 15 Meter hoch schlugen die Flammen, sprühte der Funkenregen“, beschreibt der Journalist des Volkswillen.
Und inmitten dieses dramatischen Szenarios steht ein laut Zeitung „händeringender“ OB und sagt: „Es ist nicht zu fassen, wie das passieren konnte. Jetzt haben wir das Rathaus durch die Bombennächte gebracht, und jetzt dies!“ Um halb zehn dann endlich eine Erfolgsmeldung: Der Brand ist unter Kontrolle. „Die Feuerwehrmänner müssen in dieser Nacht Großartiges geleistet haben“, sagt Sebastian Remelé anerkennend. „Sie gingen in das Gebäude hinein, kamen aber nur bis zur Rathausdiele.“
Die prachtvollen Holzsäulen haben den Brand überstanden
Ebenjene, in der sich etwas befindet, das den heutigen OB immer wieder an diese Schicksalsstunde erinnert: prachtvoll geschnitzte Säulen aus Holz. „Schon unglaublich, dass sie den Brand überstanden haben“, sagt Remelé. Das ist aber für ihn gar nicht das Faszinierendste. Besonders berührend findet der OB die fast unsichtbare Spur, die das Feuer an den Säulen hinterlassen hat: „Durch die Hitze haben sie sich auf ihren steinernen Sockeln leicht gedreht. Man sieht das besonders gut, wenn man die Ecke des steinernen Sockels mit der hölzernen Ecke der Säule vergleicht.“
Immer wenn Remelé die gedrehten Säulen betrachtet, wird er ganz nachdenklich. Wegen der Macht der Elemente, verbunden mit der Erkenntnis, dass alles vergänglich ist, und aus Dankbarkeit über den enormen Einsatz, mit dem die Schweinfurter das Rathaus, in dem er heute regiert, wieder aufbauten. „Schon in der Sitzung, die dem Feuer folgte, entschied der Stadtrat, den Wiederaufbau sofort in Angriff zu nehmen. Bürger spendeten, Handwerker boten ihre Dienste umsonst an, das war echter Gemeinsinn“, sagt er. Doch er hoffe, dass er Ähnliches wie damals sein Kollege Wichtermann niemals erleben muss.
Das Buch „Schweinfurter Geheimnisse“ von Eva-Maria Bast, Hannes Helferich und Katja Glatzer ist in Kooperation zwischen der Main-Post und dem Bast Medien Verlag erschienen. Das Buch (Hardcover) kostet 19,90 Euro, hat 192 Seiten und ist durchgehend bebildert. Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim Verlag: bestellungen@bast-medien.de (versandkostenfrei). ISBN: 978-3-946581-81-9