Was ist eigentlich Ehre? Wer hat sie, das Individuum oder die Familie? Und was erlaubt die Bewahrung dieser Ehre eigentlich? Es sind Fragen, die sich jeder selbst stellen muss, erklärt Sinan Neugebauer. Fragen, die er mit Schülern bespricht. Sinan ist nämlich ein Held, ein "Hero". Er hat sich der Schweinfurter Gruppe der "Heroes" angeschlossen, einem Projekt gegen Unterdrückung im Namen der Ehre.
Die "Heroes" halten jährlich rund 80 Workshops an Schulen in Stadt und Landkreis Schweinfurt, um Schüler für das Thema zu sensibilisieren. Es ist das einzige Projekt dieser Art in Unterfranken.
Junge Männer aus Ehrenkulturen sollen sich hinterfragen
Gemeinsam mit anderen jungen Männern aus sogenannten Ehrenkulturen hat Sinan Neugebauer begonnen, Fragen zu stellen, sich weiterzubilden und sich als "Hero" für eine neue Kultur einzusetzen, in der jeder Mensch ungeachtet seines Geschlechts, seiner sexuellen Orientierung, seiner Kultur und Nationalität, das Recht auf ein freies, gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Leben hat.
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"Für mich war der Zugang einfacher, weil ich zur Hälfte deutsch bin", sagt Neugebauer. Die gemischt kulturelle Ehe seiner Eltern, der Vater ist Türke, führte bei ihm eher zu Fragen nach der eigenen Identität.

Ganz anders beim Schweinfurter Abdullah Suleman Khel, er stammt aus einem traditionellen, religiösen muslimischen Umfeld. Er ist aus Afghanistan geflüchtet und hat erst im Oktober seine Zertifizierung als "Hero" bekommen. Das Thema Zwangsheirat kennt er aus seiner eigenen Familie. Seine kleine Schwester wurde mit 13 Jahren verheiratet, inzwischen habe sie drei Kinder, erzählt Khel. Heute hinterfragt er seine Traditionen und trägt dazu bei, dass sich junge Menschen mit den Themen Ehre, Sexualität, Bildung, Erziehung, Menschenrechte und Gewalt in der Familie auseinandersetzen.
Erster Fachtag in Schweinfurt
Die Schweinfurter "Heroes" luden kürzlich zu einem ersten Fachtag ein, bei dem sie dem diskussionsfreudigen Publikum unter anderem zu einem Workshop einluden, so wie er in den Schulen stattfindet. Projektleiterin Claudia Federspiel führte in die Thematik ein. Bevor die zertifizierten "Heroes" in Klassen gehen, gibt es immer ein Vorgespräch mit dem Lehrer.
Beim Workshop ist die ganze Klasse da – Schüler mit und ohne Migrationshintergrund, Jungs und Mädchen. "Die Arbeit lebt vom Interkulturellen, jeder hat einen anderen Blick auf die Dinge", so Federspiel. Ideal wären zwei bis drei Workshops übers Schuljahr verteilt, sagt sie.

Zum Einstieg ins Thema wird ein Videoclip gezeigt oder ein Rollenspiel gemacht. Beim Fachtag war das ein Video des deutsch-türkischen Rappers Eko Fresh. Es geht um einen Ehrenmord, bei dem sich der Bruder, der ihn begangen hat, am Ende selbst richtet. "Viele Jugendlichen finden das cool", erzählen die "Heroes". Jetzt beginnt ihre Arbeit, sie hinterfragen, regen die Schüler an, sich mit Tabuthemen auseinanderzusetzen und sich selbst ein Urteil zu bilden. Dabei haben die "Heroes" einen natürlichen Vorteil, sie stammen selbst aus einer Ehrenkultur.
"In einem einzigen Workshop ist es schwer, Jugendliche zu überzeugen", berichtet Mohammed Daoudi. Der Deutsche mit marokkanischen Wurzeln ist Gruppenleiter in Schweinfurt, begleitet die "Heroes" bei den Workshops: "Wir kommen aus einer Ehrenkultur und zeigen, wir können auch anders denken." Der Satz, den er überhaupt nicht mehr hören könne, sei: "Bei uns ist das halt so", stimmt einer der Besucher zu, denn: "Ihr seid das beste Beispiel dafür, dass es doch auch anders geht."
Schriftstellerin Sonja Fatma Bläser berichtete von ihrer Zwangsheirat
Den Einstieg in den Fachtag übernahm die deutsch-kurdische Schriftstellerin Sonja Fatma Bläser. Sie las aus ihrem Buch "Hennamond", in dem sie sehr bewegend die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend erzählte. Eine Geschichte, die geprägt war von Gewalt. Von einer als Kind erlebten Steinigung über Vergewaltigung bis hin zur Zwangsheirat. Inzwischen engagiert sich die 55-Jährige, die als Neunjährige nach Deutschland kam, in einem eigenen Verein für ein selbstbestimmtes Leben.
Autorin und Aktivistin riskiert heute noch ihr Leben
Und sie riskiert damit bis heute ihr Leben, wurde mehrfach mit dem Tod bedroht. Dass die Thematik des Ehrenmordes auch im 21. Jahrhundert noch durchaus aktuell ist, beweist sie mit einer Zahl: Seit 1996 sind in Deutschland 576 Ehrenmorde aktenkundig geworden. Die Dunkelziffer sei hoch, vieles werde vertuscht. In ihrem 2006 gegründeten Verein "HennaMond" habe sie allein 380 Beratungsgespräche wegen einer drohenden Zwangsheirat geführt.

Bläsers bewegender Einblick in diese Ehrenkulturen führte zu interessanten Diskussionen: Ist die tolerante deutsche Gesellschaft nicht eher eine Wegsehgemeinschaft, wurde gefragt. "Die Deutschen hätten gelernt, sich nicht einzumischen", meinte Bläser, forderte aber auch von der Politik mehr Unterstützung. Vor allem "die islamischen Verbände gehören aus dem Hinterhof geholt". Denn die hätten zwei Gesichter, nach außen liberal und aufgeschlossen, nach innen aber frönten sie einer religiös verbrämten Unterdrückungskultur.
In Köln gebe es beispielsweise 40 Moscheen, keine davon setze sich für Frauenrechte und Demokratie ein oder unternehme etwas gegen den Antisemitismus. "Wir müssen den Krieg in unseren Köpfen stoppen und eine Einheit werden", sagt Bläser und fordert Frauen und Männern auf, an ihren Werten zu arbeiten. "Jeder einzelne, den wir retten, ist ein Schneeball."
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