Schon das Intro bot die bajuwarische Antwort auf "Game of Thrones". Für die ARD-Serie "Oktoberfest 1900" lieferte die oberbayerische Kultband "Dreiviertelblut" die Titelmusik: "Rot, Blau, Schwarz, Grea, Gelb is des wos übrig bleibd, wanns Bluat unta da Haut dafeid". Der süffig-sinistre Soundtrack zum Wiesnwestern erklingt allerdings erst auf Platz 2, am Ende des "Nachsommers", vor vollen Rängen im Fresenius Medical Care Forum.
Rasch merkt man: Altbaiern haben, wie die Mexikaner, ein entspanntes, fast schon zuckersüßes Verhältnis zum Tod. Bei "dafeid" bietet das Wörterbuch "verfault" als Übersetzung an.
Zu Beginn lässt die coole Truppe um Sebastian Horn ("ausgeliehen" von den "Bananafishbones") und Gerd Baumann, bekannt als Komponist für moderne Heimatfilmmusik, erstmal die Sonne aufgehen, mit Gänsehauteffekt. Folklorefreie Volxmusik nennt sich das Format "zwischen Rock und Jazz", eine wilde Jagd durch die Stilrichtungen, die fast überall zwischenlandet, beim Punk, Klezmer oder auf dem Balkan, sogar beim Brüll-Metal. Nur nicht beim Musikantenstadel.
Abgründiger Alpentraum nebst nekrophilem Neubarock
Geboten wird ein abgründiger Alpentraum nebst nekrophilem Neubarock, mal schwarzer, mal weißblauer Humor und viel verschmitzte Frotzelei. Am liebsten über den schauerlichen Kerl, der einem da jeden Tag im Spiegelbild entgegen starrt.

Das Septett weilt zum ersten Mal in Schweinfurt, und fragt sich nun, nicht ganz bierernst, ob sie schon in der Stadtmitte sind, neben dem "All you can eat-Asiaten". In einer nächtlichen Vision hat Gitarrist Baumann gesehen, wie dieser Teil der Stadt entstanden ist. Im Mittelalter war's, als im künftigen Gewerbegebiet ständig Pferde in eine Mulde gestürzt sind, und geheilt werden mussten – daraus entstand der Medizinkonzern Fresenius. Oder so. Eine gewisse Pauline von Schweinfurt hat das besungen, was die Band später mit ihrem eigenen Gutenachtlied würdigt: "Weck mi ned auf".

Es geht um alle Höhen, aber auch Tiefen menschlichen Daseins. Um philosophische Fragen wie: "Sind wir Seelen, die körperliche Erfahrungen haben? Oder Körper, die seelische Erfahrungen machen?" Das lässt sich herausfinden. Demnächst soll das neue Album "Plié" herauskommen, unter anderem mit einem Corona-Resümee. Musikalisch verarbeitet wird die traumatische Erfahrung, dass man zwei Jahre lang nur noch Virologen im Bekanntenkreis hatte: "Irgendwer hat einem irgendwas verzählt."
Ach ja, der Krieg. Es erklingen die Glocken von Lenggries, im Jahr 1942, kurz bevor sie eingeschmolzen worden sind. "Der Sturm" befasste sich mal mit Trump und Pegida. Das Toben der Instrumente ist eine Mischung aus Angstschrei und Friedensgebet, die aktueller nicht sein könnte.
Ein Liebeslied erklärt dem Verfasser seine Liebe, Hühner rennen ohne Kopf im Kreis, nach dem 21. Dezember warten die Rauhnächte, wachsen Zauberlehrlingen schwarze Federn auf der Haut. Nicht fehlen darf eine Hommage an den österreichischen Liedermacher Ludwig Hirsch, Meister des Dunkelgrauen(s). Es bleibt die Hoffnung auf den Kuckucksruf im Mai. Dann soll man den Geldbeutel schütteln, damit der Inhalt drin bleibt im Jahr.
Manche Lieder sind schneller als der Tod und wecken beim dankbaren Publikum Lebenslust: So soll es sein, bei einer schaurig schönen Ballade. Dominik Glöbl an der Trompete und Saxophonist Florian Riedl sorgen für starke Solos. Es darf sogar mitgetanzt werden. Der Abend endet wieder mit Filmmusik, genauer einer Moritat über den "Räuber Kneißl", vor der Gelbwurst-Zugabe. Nach einem "sauschönen Abend" verspricht "Dreiviertelblut" zurückzukehren.