Thomas Amrehn ist der katholische Pfarrer für die drei Gemeinden Unterspiesheim, Oberspiesheim und Gernach. Er überträgt im Internet Gottesdienste aus der Unterspiesheimer Kirche und ist mit einem Lautsprecher in den Gemeinden unterwegs, um öffentlich den Angelus zu beten. Im Interview erzählt er von seinen Erfahrungen.
FRAGE: Sie leben ja alleine im Pfarrhaus. Wie unterscheidet sich das Alleinleben in Corona-Zeiten vom Alleinleben in normalen Zeiten?
Pfarrer Thomas Amrehn: Der Geschäftsbetrieb des Pfarrbüros fehlt und damit viele Tür- und Angel-Gespräche. Diese werden jetzt aber vermehrt möglich, wenn ich zum Einkaufen gehe oder einen Spaziergang mache. Natürlich sitze ich jetzt viel mehr am Schreibtisch und am Telefon, um Mails und Anrufe zu beantworten. Es ist also nicht einsamer, aber die Kommunikation findet auf anderen Wegen statt. Positiv ist, dass ich irgendwie mehr Zeit finde zum Gebet. Das ist für mich das Frappierende. Vielleicht ist dies als Aufruf an mich persönlich in dieser Krise zu verstehen.
Was hat Sie auf die Idee gebracht, die Streaming-Gottesdienste anzubieten?
Amrehn: Ich wollte vor allem den Älteren eine Mitfeier des sonntäglichen Gottesdienstes in gewohnter Umgebung ermöglichen. Dass das natürlich einen solch hohen technischen Aufwand erfordert, hätte ich niemals gedacht. Von daher gilt den Bild- und Tonmeistern mein herzlicher Dank, denn sie haben sich in die technischen Voraussetzungen und die Mühe der Übertragung dermaßen reingekniet, dass sie mich mitzogen, als ich alles schon abblasen wollte.
Welche Erfahrungen machen Sie bei Ihren Angeboten des Angelus-Gebets mit Lautsprecher in den Gemeinden?
Amrehn: Wenn ich an den Werktagen mittags oder abends durch einen Teil der drei Gemeinden gehe, dann erlebe ich Reaktionen, die jeder erfährt, der in der Öffentlichkeit steht, egal ob Klassenleiter oder Bürgermeister: Schulterzucken, Ablehnung, aber auch Dank. Das ist o.k. so. Viele, gerade Ältere, kommen an das Fenster oder an die Grundstücksgrenze und beten ein Vater unser mit. Dann ist auch ein Plausch und Winken aus der Distanz möglich, gerade auch mit den Kindern. Andere sind verwundert und schließen die Fenster, wenn sie mich kommen sehen und hören. Mehrheitlich sind es aber positive Reaktionen, im Sinne von "Hut ab!" oder "Das hätte ich mich nicht getraut." Als ich jüngst von einer Tour zurückkam, stand ein kleines Osternest an meinem Auto. Das hat mich gefreut, und so vermute ich, dass mein Tun nicht umsonst war und Anklang fand.

Wenden sich Menschen in dieser Zeit mehr an Sie als in anderen Zeiten?
Amrehn: Das kann ich für unsere drei Gemeinden nur schwer beurteilen. Wer Vertrauen zu meiner Person hat, der kommt auch jetzt mit der Bitte um ein Gebet oder ein Gespräch zu mir. Durch die vielen Zuschauer der Gottesdienste sind es natürlich insgesamt mehr Menschen auch aus anderen Gemeinden und meinem Freundeskreis, mit denen ich über die unterschiedlichsten Medien in Kontakt stehe.
Wie begleiten Sie Schwerkranke oder Sterbende?
Amrehn: Wir sind in den drei Gemeinden augenblicklich vor dieser Situation noch verschont. Sicher aber muss und werde ich alle notwendigen Auflagen, die seitens der Behörden, aber auch des Bischofs gegeben sind, einhalten, um keinen zu gefährden, weder den Betroffenen, noch Angehörige oder mich selbst.
Wie reagieren die Kommunionkinder und ihre Eltern darauf, dass die Erstkommunion verschoben wird?
Amrehn: Hier erlebe ich eine verständliche Enttäuschung, aber auch eine Akzeptanz der augenblicklichen Situation.
Was empfinden Sie bei Beerdigungen, die ohne Beteiligung der Gemeinde stattfinden müssen?
Amrehn: Die Beisetzungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit gingen mir emotional besonders nahe. Treffen doch die Auflagen hier auf einen der sensibelsten Bereiche menschlichen Lebens, den Abschied von einem geliebten Menschen. Ich habe deshalb versucht, durch eine intensivere Vorbereitung der Beisetzung den wenigen Angehörigen, die an den Feiern teilnehmen dürfen, einen guten Abschied zu ermöglichen. Ich denke hier aber auch an eine Feier, bei der die Angehörigen eigene Formen des Abschieds gefunden haben. Sie war dadurch sehr berührend und intensiv, aus allem Schmerz und aller Hilflosigkeit war eine innere Gemeinschaft geworden. Für mich war das eine kleine Oster-Erfahrung.
Welche Anregungen nehmen Sie mit für die Seelsorge nach der Corona-Zeit?
Amrehn: Der persönliche Kontakt scheint mir das A und O der Seelsorge zu bleiben. Durch meine Runden durch das Dorf kenne ich jetzt Menschen, die ich vorher so nicht kannte, weiß, wo sie gebaut haben, wo sie leben. Und: Gebet und Glaube muss von innen kommen und kann tragen. Ich erlebe viele, die sich um ihren persönlichen Glauben jetzt Gedanken machen und bereit sind, darüber auch zu sprechen und miteinander zum Austausch zu kommen. Wenn wir das ein wenig bewahren, haben wir eine gute Grundlage für die Seelsorge des einzelnen für die anderen.
Hat die Religion für die Menschen wieder an Bedeutung gewonnen?
Amrehn: Ich meine schon, dass so mancher zumindest darüber nachdenkt. Mit Sicherheit wird das Verhalten von Christen in dieser Krisensituation auf die Waage gelegt, gerade von jenen, "die mit der Kirche nichts am Hut haben".
Wie geht es Ihnen damit, dass Sie den Gottesdienst derzeit immer nur mit Lektoren feiern dürfen? Wie reagieren die Gläubigen auf diese Situation?
Amrehn: Die Möglichkeit des Streamens nimmt den Menschen ein wenig das Bedauern über den Verlust öffentlicher Gottesdienste. Ich werde von vielen Älteren angesprochen, dass sie so froh sind, diese Möglichkeit zu haben. Sie bedanken sich für die Gestaltung der Gottesdienste und Predigten und für die Mühe des Technikteams. Das hilft mir natürlich ein wenig darüber hinweg, dass ich vor einer leeren Kirche stehe. Die Anzahl der Rückmeldungen ist viel höher als sonst. Von daher bin ich froh, über das Streamen mit den Menschen verbunden zu sein. Der Gedanke der Stellvertretung tritt für mich augenblicklich als Impuls sehr in den Vordergrund.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten in Bezug auf das Gemeindeleben zu Corona-Zeiten: Was würden Sie sich wünschen?
Amrehn: Dass wir nicht die Geduld verlieren. Gerade bei manchen Älteren und Alleinlebenden stelle ich fest, dass langsam eine Grenze erreicht wird. Und dass wir alle, über verständliche Grenzen und Unterschiede hinweg, und eben mehr als sonst, die Frage stellen, die Jesus an den Blinden stellte, der nach ihm ruft: "Was willst du, dass ich dir tun soll?"
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