Es ist Montag. Was über die Qualität von Montagsautos gesagt wird? Daran denke ich jetzt lieber nicht. Von einer Sekunde auf die nächste habe ich ein Blackout: Wie geht das noch? Erst Stahlblech, richtig ausgerichtet, auf das Rund legen. Dann fünf Abstandshalter reihum aufsetzen und ein weiteres, anders geformtes Blech auflegen. Alles so, dass es einrastet. Ich zögere, bevor ich auf den grünen Startknopf drücke, der dem Band das Signal zum Weiterwandern gibt. Wird gleich die rote Lampe über der Turbinenstation blinken und eine Störung anzeigen? Ich wage es. Die Plexiglastür schließt, das Band läuft weiter.
Bernd Wolpert lächelt milde. Zu seinen Anfangszeiten sei es ihm nicht anders ergangen, erzählt er mir. Seit sieben Jahren steht der 54-Jährige genau da, wo ich heute anstatt in der Tagblatt-Redaktion mitarbeite: am Band bei ZF Friedrichshafen.
Der 8HP–Wandler besteht aus 128 Einzelteilen
Es ist die 8HP-Wandler-Fertigung im Schweinfurter Werk Süd. Linie vier in Bau 616 wird eine Schicht lang meine Welt sein: U-förmig im Uhrzeigersinn laufen Schritt für Schritt 128 Einzelteile zusammen. Vier Bereiche hat jede der sechs Linien in der riesigen Halle – die Abschnitte Turbinentorsionsdämpfer, Pumpe, Deckel und Endmontage. Heraus kommt am Ende ein Drehmomentwandler, der in teureren Acht-Gang-Automatikautos von BMW, Audi oder Chrysler verbaut wird, und das Getriebe mit dem Motor verbindet.
„Früher hatte Automatik ein Opa-Image“, sagt Fertigungsleiter Sebastian Schmitt während meiner kurzen theoretischen Einführung am Morgen. Er führt die rund 350 Mitarbeiter der 8HP–Wandler-Fertigung. Insgesamt hat der ZF-Standort Schweinfurt rund 9200 Mitarbeiter.
Das Opa-Image gehört der Vergangenheit an, da ist Schmitt überzeugt: Automatik fahre sich inzwischen spritsparender und gleichzeitig sportlicher als noch vor einigen Jahren. Auch dank der 8HP–Technologie, die 2009 in Serie ging. Der 8HP-Wandler übernimmt als Drehmomentwandler die Funktionen einer Kupplung und gleicht unter anderem Schwingungen aus, die auf die Karosserie übertragen würden.
Am Band duzt man sich
Arbeitsantritt für mich ist 7 Uhr. Ich starte etwas später in den Arbeitstag als meine Kollegen der Frühschicht, die von 6 bis 14 Uhr ranmüssen. 30 Minuten Pause und weitere 15 Minuten zur freien Verfügung für Toilette oder Rauchen inklusive. Elf Mitarbeiter sind in der Frühschicht an Linie vier beschäftigt, auch zwei Frauen sind darunter. Schichtleiter Jürgen Klemke gibt mir einen herzlichen Händedruck, man duzt sich. Er springt ein, sobald eine der zehn Arbeitspositionen entlang der Linie kurzzeitig unbesetzt wäre.
Im Wochenrhythmus übernimmt jeder, auch Bernd Wolpert, mal die Frühschicht, mal die Spätschicht von 14 bis 22 Uhr, mal die Nachtschicht von 22 bis 6 Uhr. Hinzu kommen in jüngster Zeit auch immer wieder Samstags- und Sonntagsarbeit. Statt mit einer Fünf-Tage-Woche in 15 Schichten produziert ZF in Schweinfurt derzeit in 18 Schichten – drei weitere also am Wochenende. Betriebsrat und Gewerbeaufsicht geben quartalsweise ihr Einverständnis. Die hohen Absatzzahlen machen es möglich.
Das Maximum in Schweinfurt ist erreicht
Rund drei Millionen 8HP-Wandler werden jährlich am Standort Schweinfurt gefertigt. „Das Maximum hier ist erreicht“, erklärt mir Schmitt. Andernorts ist noch Luft nach oben. Ab 2019 soll die Produktion in Werken in Mexiko und der Slowakei auf eine Million wachsen.
Bernd Wolpert hat sich gewöhnt an den Tag- und Nachtwechsel. Zum Ausgleich zur standardisierten Serienproduktion drechselt er in seiner Freizeit frei nach Schnauze. Im Werk kommt es dagegen auf die immer gleiche Ausführung an. Während wir uns unterhalten, bestücke ich die Maschine weiter mit Material. Doch kaum haben wir ein paar Worte gewechselt, gerate ich wieder ins Schlingern. „Am Anfang habe ich immer mitgezählt“, erinnert sich Bernd an seine ersten Wochen als Maschinenbediener vor 17 Jahren.
Ein T-Shirt als Arbeitskleidung wäre besser
So gehen die Minuten dahin. Die angebotenen Ohrstöpsel brauche ich nicht, die Geräuschkulisse ist so leise, dass man sich sogar unterhalten kann. Auch die Handcreme, die Bernd mir anbietet, schlage ich dankend aus. Einzig die Sicherheitsschuhe sind ein Muss. Mein langärmliges Oberteil würde ich liebend gern gegen ein T-Shirt tauschen. Dabei ist die Halle dank Klimaanlage im Vergleich zu anderen Produktionshallen deutlich kühler, erklärt mir Fertigungsleiter Schmitt. „Von der körperlichen Belastung haben wir hier paradiesische Zustände.“
Zum Auftragswechsel muss das Band kurz leerlaufen, um zwischen den Fertigungschargen zu trennen und mögliche Mängel später zuordnen zu können. Bernd und ich haben eine kurze Zwangspause. „Das ist dann keine unmittelbar wertschöpfende Tätigkeit“, erklärt mir der FHWS-Student, der sich heute die Abläufe anguckt. Seine Bachelorarbeit befasst sich mit dem Thema. Auch das Scannen neu angefangener Materialkörbe, gehört dazu.
Das Bandtor suggeriert mir, dass ich zu langsam bin
Ich verabschiede mich von Bernd und der Turbinenstation und ziehe weiter zur Handmontage. Dort löse ich Schichtleiter Jürgen ab, der übernommen hat. In der Handmontage brauche ich Geschick. Den Handschuhen sei Dank schmerzen meine Finger nicht, wenn ich fünf Federn rechts und links erst mit Kappen bestücke und sie im Kreis in ein Abdeckblech spanne. Ein Stapel fertiger Abdeckbleche liegt auf Halde neben Jürgen – mit Routine schafft er, mehr Stücke zusammenzusetzen, als die Uhr verlangt.
Alle 40 Sekunden, so hat mir Fertigungsleiter Schmitt erklärt, soll am Ende ein Teil von der Linie fallen – rechnerisch. Das gleiche Zeitfenster gilt folglich auch für jeden Fertigungsabschnitt. Ich habe gut zu tun. Hinter mir öffnet das Bandtor automatisch, sobald ich wieder ein Blech einlegen kann. Jede Sekunde, die es offensteht, sagt mir, dass ich zu langsam bin. „Das ist nicht so“, beruhigen mich die Kollegen. Sie haben Recht: Wenn ich den Ablauf auf der Uhr verfolge, öffnet das Tor schon nach gut 20 Sekunden wieder. Wenn alles glatt läuft, hab ich nach 30 Sekunden ein neues Blech auf dem Band. Alles im Soll.
Am Ende wiegt der Wandler 17 Kilogramm
„Jetzt machst du mal was körperlicheres“, sagt Schichtleiter Jürgen und führt mich zum Linien-Abschnitt Deckel. Diesmal brauche ich Muckis: Das Fertigungsstück wiegt nun knapp fünf Kilo. Hier wird der Zapfen, der Wandler mit Motor verbindet, auf die Schalung geschweißt und bekommt einen kleinen individuellen Code.
Das Schweißen übernimmt ein Roboter von Kuka, „Robi“, wie Jürgen ihn mir vorstellt. Robi arbeitet hinter verschlossener Wand, nur durch ein Fenster zu beobachten. Ich habe die Aufgabe, ihm die Schalung in wenigen Handgriffen richtig einzulegen: Kollege Michael Müller erklärt mir, wie ich das Fünf-Kilo-Stück anfassen muss, damit es am Ende ohne weiteres Umgreifen richtig sitzt.
Station vier: Endmontage. Hier führe ich eine hydraulische Hebehilfe, um die fertigen Wandler in die Paletten zu legen. Inzwischen wiegt der Wandler 17 Kilogramm.
1500 Wandler in drei Schichten
Am Ende meine Arbeitstages werde ich vier verschiedene Arbeitsabschnitte gemacht haben – gar nicht so ungewöhnlich für eine Schicht, wie mir Fertigungsleiter Schmitt sagt. „Um Beanspruchungen zu vermeiden, rotieren viele Linien.“
Rund 1500 Wandler werden so nach 24 Stunden und drei Schichten von der Linie gelaufen sein. Ob Linie vier über dem Soll liegen wird, werden die Kollegen am nächsten Morgen besprechen. An mir soll's hoffentlich nicht gelegen haben.