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GEROLZHOFEN: Sie haben wenigstens ihre Namen wieder

GEROLZHOFEN

Sie haben wenigstens ihre Namen wieder

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    Vor dem ehemaligen Lichtenauer-Anwesen in der Bahnhofstraße 16 liegen jetzt vier Stolpersteine. Zur Verlegung kam auch ein rundes Dutzend Nachfahren der jüdischen Familie aus Israel. Mit im Bild die Vertreter des Kulturforums mit der maßgeblichen Gestalterin der Zeremonie, Evamaria Bräuer (Fünfte von links), und der Vorsitzende Burkhard Tebbe (rechts) sowie Bürgermeister Thorsten Wozniak (Vierter von links), die stellvertretende Landrätin Christine Bender (Achte von links) und Hausbesitzer Norbert Rumpel (Zweiter von rechts).
    Vor dem ehemaligen Lichtenauer-Anwesen in der Bahnhofstraße 16 liegen jetzt vier Stolpersteine. Zur Verlegung kam auch ein rundes Dutzend Nachfahren der jüdischen Familie aus Israel. Mit im Bild die Vertreter des Kulturforums mit der maßgeblichen Gestalterin der Zeremonie, Evamaria Bräuer (Fünfte von links), und der Vorsitzende Burkhard Tebbe (rechts) sowie Bürgermeister Thorsten Wozniak (Vierter von links), die stellvertretende Landrätin Christine Bender (Achte von links) und Hausbesitzer Norbert Rumpel (Zweiter von rechts). Foto: Foto: Norbert Finster

    Versteinerte, betroffene, gar entsetzte Gesichter. Altbürgermeister Hartmut Bräuer versagt die Stimme, als er die auf Englisch vorgetragene Rede von Milka Lichtenauer, verheiratete Zailer, auf Deutsch vorlesen will. Sechs Millionen durch das NS-Regime ermordete Juden, das ist eine immer wieder vorgetragene Zahl, die abstumpfen mag. Aber wenn es um Einzelschicksale geht, dann machen die Verbrechen dieser Diktatur auch über 70 Jahre danach immer noch fassungslos. Auch Menschen, die diese Zeit nicht erlebt haben.

    So geschehen bei der dritten Verlegung von Stolpersteinen in der Stadt, diesmal in der Bahnhofstraße 5 und 16. Diesmal ging es um das Gedenken an die jüdische Familie Lichtenauer, die in Gerolzhofen einen Namen hatte und sich vor der Machtübernahme stark im Leben der Stadt engagierte.

    Evamaria Bräuer vom Kulturforum, das die Stolperstein-Verlegung begleitet, sagte eingangs, im Wissen um die deutsche Geschichte seien die Gründe gut zu verstehen, warum bereits 1933 viele Menschen Deutschland verließen. Viele aber sind geblieben und „die Gründe, Gerolzhofen nicht zu verlassen, erscheinen uns heute fast völlig unverständlich“, sagte Bräuer.

    So kam es, dass die Nazis im April 1942 20 Gerolzhöfer zwischen 11 und 66 Jahren aus ihren Wohnungen holten, nach Würzburg brachten und von dort in das Durchgangslager Krasnystaw bei Izbica in Ostpolen transportierten. Danach verlieren sich ihre Spuren.

    Fest steht aber, dass alle deportierten Gerolzhöfer in den Vernichtungslagern Belzec und Sobibor ermordet wurden. Die Nazis nahmen ihnen nicht nur das Recht zu leben, sondern auch das Recht, in einem Grab bestattet zu werden.

    Besuch aus Israel

    „Ein wenig stolz“ zeigte sich Bräuer, dass rund ein Dutzend Nachfahren der Familie Lichtenauer eigens aus Israel zu der Zeremonie der Steinverlegung gekommen war.

    Abermals ist das Kulturforum bei seinen Anfragen an die heutigen Hausbesitzer auf großes Entgegenkommen gestoßen. Brunhilde Jüttner aus der Bahnhofstraße 5 hat sofort zugestimmt, dass vor ihrem Anwesen der Stein für Kathi Langstädter, geborene Lichtenauer, verlegt wird, ebenso Norbert Rumpel für die Bahnhofstraße 16, vor der Aktionskünstler Gunter Demnig die Steine für Rafael, Jenny, Albert und Janette Lichtenauer verlegte. Nachdem sie das Regime zu Nummern gemacht hatte, bekommen die Lichtenauers nun wenigstens wieder ihre Namen zurück, freute sich Evamaria Bräuer.

    Bürgermeister Thorsten Wozniak erklärte, für heutige Demokraten sei das Grundgesetz, das auf Menschlichkeit und Menschenrechten basiert, eine Selbstverständlichkeit. Zwischen 1933 und 1945 war das anders. „Während wir heute in einem Staat leben, der Hilfebedürftigen und Minderheiten Schutz bietet, wurden die Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus nicht ins arische Weltbild gepasst haben, systematisch verfolgt und vernichtet.“

    Stolpersteine, so Wozniak, seien ein Zeichen, dass die große Mehrheit der Deutschen aus der Vergangenheit gelernt hat.

    „Die Geschichte lehrt, dass sich Menschen und Nationen erst dann klug verhalten, wenn alle anderen Möglichkeiten erschöpft sind“, zitierte stellvertretende Landrätin Christine Bender den israelischen Politiker Abba Eban. Das Verlegen der Stolpersteine sei ein Beweis für diese Erkenntnis. Auch Bender fand es gut, dass im Landkreis aktive Erinnerungsarbeit geleistet wird. Neben Gerolzhofen wurden bereits auch in Frankenwinheim Stolpersteine verlegt.

    Kibbuzgründer

    Aus der Familie Lichtenauer überlebte nur Gustav, der bereits vor dem Krieg im Alter von 15 Jahren aus Deutschland nach Israel fliehen konnte. Ihm ist es zu verdanken, dass wieder eine weitverzweigte Familie besteht, für die Milka Zailer – ebenfalls deutlich emotionalisiert – das Wort ergriff.

    Sie berichtete, dass Gustav Lichtenauer in Israel sehr aktiv gewesen sei. Er gehörte zu den Gründern eines Kibbuz und war 1948 am Unabhängigkeitskrieg beteiligt, als arabische Länder den jungen Staat Israel mit seinen damals nur 600 000 Menschen angriffen.

    Eines Tages nach dem Krieg erhielt er eine Mitteilung vom Roten Kreuz mit der Information, dass seine gesamte Familie – Eltern, Bruder, Großeltern, Tanten und Cousinen – in den Grauen der Shoa ums Leben gekommen war. Bis zu seinem Tod 2007 hat Gustav immer gesagt: „Wir dürfen niemals vergessen und vergeben.“ Das verschwieg Milka Zailer nicht. Trotzdem bedankte sie sich bei allen Aktiven in Gerolzhofen, besonders Evamaria Bräuer, für die Bemühungen, an das Vergangene zu erinnern.

    Die Paten für die Steine, Hartmut Bräuer für die SPD-Kreistagsfraktion, Thomas Vizl für die Fraktion der Bündnisgrünen, Brigitte Wozniak für die evangelische Kirchengemeinde und Burkhard Tebbe für das Kulturforum, legten Rosen an den Stolpersteinen nieder.

    Die Musikstücke von Dana Sperling, Franziska Schneider und Julia Barthelme aus dem Flötenensemble von Elke Friedl sowie später einer Chorgemeinschaft halfen den Teilnehmern, ihren Gedanken und Gefühlen nachzuspüren.

    ONLINE-TIPP

    Mehr Bilder im Internet unter www.mainpost.de/schweinfurt

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