Schweinfurt Weltweit glaubten Herzpatienten von einem klaren Fortschritt profitieren zu können: Von dem neuen beschichteten Stent (Gefäßstütze), der ihre verengten oder verschlossenen Herzkranzgefäße offenhalten sollte. Der außerdem einen Nachteil des unbeschichteten Stents reduzieren sollte: Nämlich die chronische Wiedereinengung eines Gefäßes – was auch gelang. Untersuchungen aus der Schweiz und Skandinavien von 2006 sorgen nun für Ernüchterung: Gerade die vielgepriesene Beschichtung mit Medikamenten soll für Thrombosen der Kranzgefäße verantwortlich sein, mit einem leicht erhöhten Sterblichkeitsrisiko. Patienten sind verunsichert, Ärzte zerstritten. Wir sprachen über diese Situation mit dem Chefarzt der Medizinischen Klinik I des Leopoldina-Krankenhauses, dem Kardiologen Prof. Hubert Seggewiß (Foto Laszlo Ruppert). In seiner Klinik werden jährlich rund 1200 Stents eingesetzt (in Deutschland waren es 230 000 im Jahr 2005).
Frage: In wie vielen Fällen wurden bei Ihnen Patienten mit einem beschichteten Stent versorgt? Deutschlandweit sollen es um die 30 Prozent sein.
Hubert Seggewiss: Diese Zahl stimmt, in den USA und in der Schweiz betrug der Anteil der beschichteten Stents seit ihrer Einführung 2003 sogar fast 90 Prozent. In unserer Klinik wurden unter fünf Prozent aller Stent-Patienten mit beschichteten Gefäßstützen versorgt.
Woher kam Ihre Zurückhaltung gegenüber diesem angeblich so einleuchtenden Fortschritt?
Seggewiss: Je länger man sich mit der Medizin befasst, desto deutlicher wird, dass jedes Medikament mit einer biologischen Wirkung auch zu einer Gegenreaktion führt. Beim beschichteten Stent wird nach meiner Meinung so massiv in den biologischen Prozess des Einheilens eingegriffen, dass das Folgen haben muss. Ich kann nicht die breite Menge der Patienten einer Neuerung zuführen, ohne die langfristigen Folgen zu kennen.
Warum dann überhaupt beschichtete Stents in etwa fünf Prozent aller Fälle?
Seggewiss: Bei Diabetikern mit einer besonders hohen Wiedereinengungs-Rate oder bei in dieser Hinsicht stark gefährdeten Gefäßabschnitten war und ist der beschichtete Stent sinnvoll. Um es vorweg zu sagen: Auch Patienten mit diesen Stents sind bei konsequenter Einnahme eines Gerinnungshemmers (Clopidogrel) auf der sicheren Seite.
Wieso jetzt plötzlich eine Thrombose-Gefahr bei beschichteten Stents?
Seggewiss: Dazu muss man zuerst den biologisch gesteuerten Einheilungsprozess eines unbehandelten Stents betrachten. Dieses spinnwebfeine Drahtgeflecht in Form eines Röhrchens wird von innen an die beschädigte Gefäßwand gepresst, um die Arterie offenzuhalten. An dem feinen Geflecht bleiben leicht Blutzellen hängen, die zu Gerinnseln, damit zum Akutverschluss führen können. Dies verhindern Gerinnungshemmer, die während der Einheilungszeit des (unbeschichteten) Stents für vier Wochen genommen werden.
Ein Akutverschluss wird also verhindert, es bleibt demnach die Gefahr einer chronischen langsamen Wiedereinengung?
Seggewiss: Genau. Die entsteht durch überschüssiges Narbengewebe. Dessen Zellwachstum soll mit der Beschichtung wie eine Art Zytostatika (Substanzen, die Zellwachstum bzw. Zellteilung hemmen, Red.) gestoppt werden. Doch heute nach drei Jahren zeichnet sich ab, dass dieser Kunstgriff auch einen Nachteil hat: Die Beschichtung lässt die Stents langsamer (oder gar nicht) in die Gefäßwand einwachsen. Jeder Fremdkörper aber fördert die Bildung von Blutgerinnseln. Also muss der Thrombosegefahr bei beschichteten Stents durch eine viel längere Einnahme von Gerinnungshemmern begegnet werden. Ich empfehle heute eine lebenslange Einnahme.
Was würden Sie außerdem einem besorgten Patienten mit einem oder mehreren beschichteten Stents raten?
Seggewiss: Der Patient sollte vor Operationen oder invasiven Untersuchungen (etwa Darmspiegelung mit Gewebeentnahmen) die Ärzte unbedingt auf die Einnahme eines Gerinnungshemmers und das Tragen eines beschichteten Stents aufmerksam machen. Dann kann nach Rücksprache mit einem Kardiologen das weitere Vorgehen besprochen werden. Ich warne vor selbständigem und leichtfertigem Absetzen. Noch einmal: Mit konsequenter Einnahme des Medikaments gibt es keinen Grund zur Sorge.