Auf Reisen sind Liederkränzler schon immer gern gegangen. Wir wissen das aus der anlässlich der 175-Jahrfeier 2008 veröffentlichten Publikation: Auf Betreiben des Mitgründers Jens Sattler wurde bald nach der Gründung 1833 an reiselustige Mitglieder ein Sängerpass ausgegeben, der wie eine Art Reisepass funktionierte. Die Pässe geben heute ein wichtiges Zeugnis über die weit vernetzten Beziehungen der Sänger im 19. Jahrhundert und sie beweisen, dass Musik und Gesang Völker-verbindend sind.
Das erlebte jetzt auch der Gesamtchor bei seiner tatsächlich erst allerersten Auslandsreise. Im Theater der tschechischen Stadt Most wiederholte der Oratorienchor gemeinsam mit dem Böhmischen Festival-Orchester sein im Schweinfurter Theater Ende 2009 aufgeführtes Opern- und Operettenkonzert. Und wie in der Heimatstadt bejubelten dieses Mal rund 400 Tschechen im ausverkauften Theater der Erzgebirgestadt die 60 Schweinfurter Sänger, 44 musizierenden Landsleute sowie die Solisten Vera Schoenenberg (Sopran, Innsbruck), Christiane Bassek (Alt, Kassel) und Uwe Schenker-Primus (Bariton, Weimar). Generalmusikdirektor Wolfgang Hocke (Meiningen) lenkte sie alle mit erneut angespannter Aufmerksamkeit durch den Abend. Zum Gelingen trug der Liederkranz unter anderem mit dem Gefangenenchor aus Verdis „Nabucco“, Chören aus Friedrich von Flotows „Martha“ und dem Schmiedechor aus Johann Strauß' „Zigeunerbaron“ bei.
Warum Most? Der Student Miroslav Aigl kehrte 1969 nach einem trotz der damaligen Wirren genehmigten Auslandsaufenthalt nicht mehr in seine Geburtsstadt zurück. Er landete in Schweinfurt, fand 1984 zum Liederkranz, dessen Schatzmeister er heute ist. Die Freundschaft zu Petr Macek, dem Gründer und Leiter des Böhmischen Orchesters, blieb bestehen. Aigl/Macek heckten auch die deutsch-tschechische Kooperation aus, die der tschechische Staat so gut findet, dass er die dreitägige Reise aus dem Landes-Kulturfonds förderte.
Gleichwohl: Es gibt nicht nur dieses neue Miteinander, wie sich zunächst in Prag zeigte. Im Veitsdom sind die sterblichen Überreste von „Jitka ze Svininbrodu“ – Judith von der Peterstirn – bestattet. Die um 1003 geborene Tochter des Markgrafen Heinrich heiratete dereinst den Böhmen-Herzog Bratislaus.
Beethovens „Die Himmel rühmen“ stimmte der Chor in der „Kirche zu Maria Himmelfahrt“ in Most an, die die Sänger aus gutem Grund besuchten: Die Pläne für das ab 1517 erbaute Gotteshaus stammen vom Schweinfurter Architekten Jakob Haylmann (1475-1524). An sein Wirken erinnert seine Heimatstadt mit einer Straße am Bergl.
Die spätgotische Kirche und Most haben eine außergewöhnliche Geschichte. Die Stadt musste zwischen 1970 und 1975 der Braunkohleförderung weichen, wurde wenige Kilometer entfernt auf der grünen Wiese neu aufgebaut. Die meisten Häuser wurden gesprengt. Die Kirche wurde aber mit einem vier Meter dicken Betonfundament unterfangen, 1975 auf Schienen – spektakulär und weltberühmt – um 841,10 Meter auf den heutigen Standort transportiert.
„Diese Reise dient der Völkerverständigung“, sagte Liederkranzvorsitzender Manfred Lunkenbein beim Gala-Dinner nach dem Konzert. Mosts OB Vlasdimil Vozka dankte für den von Stadtrat Gerd Schurz überreichten Zinnteller der Stadt. Er hofft auf weiteren Kulturaustausch und will Schweinfurt besuchen, um vor allem Tipps zum Strukturwandel und gegen die Arbeitslosigkeit (über 16 Prozent) zu erhalten.
Most setzt derzeit allein auf den Freizeitsektor, verfügt neben dem bekannten Autodrom bald über Europas größte Seenlandschaft auf den heute unansehnlichen Kohlegruben.
Nächste Herausforderung für den Oratorienchor Liederkranz: am 28. März in St. Kilian die Johannis-Passion von Bach.