„Das Christentum gab dem Eros Gift zu trinken. Er starb zwar nicht daran, aber entartete zum Laster.“ Wenn das mal kein Zeichen ist. Kleine, in buntes Papier gewickelte „Textpralinen“ werden in der Kirche Sankt Kilian gereicht. Der Reporter erwischt ausgerechnet Nietzsche, gottloser Pfarrerssohn mit einem eher desolatem Liebesleben. Der Philosoph drücke ein weit verbreitetes Empfinden aus, wird die Enzyklika „Deus caritas est“ zitiert, die Gott sogar als „Liebe“ definiert: „Vergällt, vermiest uns die Kirche mit ihren Geboten und Verboten nicht das Schönste im Leben?“, fragt niemand Geringeres als Benedikt XVI., Nachfolger sinnenfroher Renaissance-Päpste ebenso wie eines antiken Glaubenstifters, der immer wieder die körperliche Nähe zu den Menschen gesucht hat.
Schon der Eingang zur „Erotik-Messe“ ist in schummriges Rotlicht getaucht, am Altar leuchtet ironisch ein Neon-Kreuz. Auf einer Leinwand lechzen prallrote Lippen, nach Wein, Küssen und mehr. Mit dem Tod, angeblich das beste Aphrodisiakum, hat sich die „Jugendkirche kross“ zu Allerheiligen beschäftigt, am Valentinstag dreht sich alles um die Liebe.
„Ich wünsche euch eine anregende Stunde“ begrüßt Dekanats-Jugendseelsorger Günter Kirchner maximal 150 Besucher, weniger als erwartet. Dessous und Sex Toys suchen die Besucher natürlich vergebens, stattdessen gibt es flotte Musik der Kirchenband „Suncha di Lala“ und lustvolle Lesungen der jungen Christen Dominik, Franziska, Christina, Johanna, Melanie, Dina, Linus und Julia. Schon das Kreuzzeichen wird intensiver als sonst gestrichen, vom Kopf übers Herz bis zum Bauch. „Liebe ist ein großes Wort“, sagt Pfarrer Christian Ammersbach, „vielfach besungen, vielfach missbraucht“.
Die Wortbedeutung reicht bei uns von Nächstenliebe bis zum „Liebe machen“. Die Griechen haben feinsäuberlich unterschieden, in Philia (innige Freundesliebe), Agape (uneigennützige Menschenliebe) und eben den Eros. Im Mittelalter gab's den Wunsch nach „Unio Mystica“: der leibhaften Vereinigung mit einem Gott, der „als runzelig rotes Baby zwischen den Schenkel Marias“ geboren wurde, im „Stallgeruch der Welt“, woran Christina erinnert. „Leibfeindlichkeit“, die Problematisierung von Sexualität und Sinnlichkeit, seien erst nach dem Urchristentum eingesickert, heißt es im Dialog der Jugend: Auch durch die Übernahme griechischer Philosophien, denen eine schöne Seele mehr galt als der schnöde Leib.
In der Welt des Alten Testaments ging es noch zur Sache, mit der Heißglut des Orients, ohne dabei ins Pornohafte abzugleiten. Im Hohelied Salomos sind nackte Haut, Lust und Erregung nur hauchdünn verschleiert: „Süßer als Wein ist deine Liebe“. Die Geliebte aus dem Libanon, sie scheint wie eine Stute an Pharaos Wagen, ihre Brüste sind wie Kitzlein und junge Zwillinge einer Gazelle, rote Bänder ihre Lippen. Die Haare der Angebeteten wallen wie eine Herde Ziegen.
„Ich habe mein Kleid schon abgelegt“, seufzt der (offenbar nicht nur tierliebe) Dichter: „wie soll ich es wieder anziehen.“ Ersteigen will er nun die Palme – die körperliche Liebe ist zugleich Gottesdienst.
Im Neuen Testament geht es mehr um Berührung und Heilung im Sinne der Agape, etwa, als eine Sünderin Jesus die Füße wäscht und salbt, im Hause eines pikierten Pharisäers: „Jesus war kein steriler Typ“. Nur sind Menschen in ihrer Körperlichkeit auch verletzbar, lautet die Mahnung. Kein Thema ist so hochsensibel wie Liebe und Sexualität. Das Abendmahl, es wird an einer festlich gedeckten, rosengeschmückten Hochzeitstafel gefeiert, mit „krossem“ Brot und Wein. Gottes Liebe soll durch den Magen gehen, hinein in Fleisch und Blut.
Am Ende ist die Erotik-Messe ein (kirchenpolitisch korrekter) Wink mit dem Zaunpfahl, gegen die klebrig-kalte Lieblosigkeit der modernen Sex- und Pornoindustrie, gegen virtuellen Perfektions- und Schönheitswahn, nicht zuletzt aber auch jede Form des sexuellen Missbrauchs.
Der Spendenerlös kommt dem Verein Solwodi zu Gute, die Kissinger Beratungsstelle engagiert sich gegen Zwangsehen und -Prostitution (www.solwodi.de).
Zur Entspannung „danach“ gibt es Rosen-Proseco oder die Möglichkeit zur Salbung mit Rosenöl. Ein orientalisches Liebesnest lädt zum Räkeln wie zu Salomos Zeiten ein. Schließlich ist da noch das Ehepaar, das sich gemeinsam im sanften Licht vor der Tür fotografieren lässt – und so im gesetzteren Alter der Liebe frönt.