Ermittlungen der Polizei, Staatsanwaltschaft und Steuerfahndung, Verdacht auf Betrug, Untreue, Urkundenfälschung und Verstöße gegen das Kreditwesengesetz: Die Postbaugenossenschaft ist in einen Skandal verwickelt. Insgesamt verfügen die in einer Arbeitsgemeinschaft vereinten Schweinfurter Wohnungsunternehmen über 8500 Wohnungen. Sie versorgen einen hohen Prozentteil der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum. Neben der Stadttochter SWG oder dem Bauverein ist die Postbaugenossenschaft (PBG) mit 324 Wohnungen in Schweinfurt, Bad Königshöfen, Bad Kissingen, Bad Neustadt, Mellrichstadt und Kitzingen sowie rund 500 Mitgliedern eine eher kleine Nummer. Das mag ihr bisher zurückhaltendes Auftreten erklären. Es gibt nicht einmal eine Homepage – aber jetzt einen Skandal.
Der wird die Postgenossen kräftig durchschütteln und möglicherweise dazu führen, dass sich PBG-Verantwortliche wegen „krimineller Machenschaften“ verantworten müssen. So jedenfalls werden die erstaunlichen Vorgänge in einem Papier benannt, das vor einer Mitgliederversammlung im Jahr 2010 kursiert ist.
Von angeblichen Unregelmäßigkeiten war gerüchteweise immer wieder mal zu hören. Doch ein Sonderprüfungsbericht Mitte 2008 wurde mit Hinweisen auf mögliche Verstöße gegen das Kreditwesengesetz erstmals konkret. Ermittelt wird mittlerweile zusätzlich wegen des Verdachts der Untreue, des Betrugs und der Urkundenfälschung. Kripo und Staatsanwaltschaft Schweinfurt sowie Steuerfahnder haben bereits Vorstände und Aufsichtsräte vernommen. Es gab Durchsuchungen, unter anderem in den Privatwohnungen des mittlerweile zurückgetretenen Vorstandsvorsitzenden Berthold K. (84), der 37 Jahre lang – von 1971 bis 2008 – an der Spitze der PBG stand.
In den 1990er Jahren begann K. mit Genossenschaftsmitgliedern und auch mit Nicht-Genossen Darlehensverträge im Namen der PBG abzuschließen. Sie reichten praktisch Darlehen an die PBG aus – gegen eine jährliche Verzinsung von sechs Prozent. Die Verzinsung galt auch für ausgereichte Geschäftsanteile. Auch die Vorstände selbst zeichneten, das Darlehenspapier war die Quittung für die Darlehen.
„„Da ist vieles nicht mit rechten Dingen zugegangen“
Postgenosse in einer Anzeige an die Staatsanwaltschaft
Dabei war Bareinzahlung – warum auch immer – die übliche Form. Nach dem Grund fragte offensichtlich keiner. Ein Fall, der derzeit die Zweite Zivilkammer am Landgericht Schweinfurt beschäftigt, steht beispielhaft für diese Methode: Der Genosse legt 36 500 Euro in bar auf den Schreibtisch von K., der zählt das Geld, packt es in die Schublade. Vorher notiert er die Einzahlung in einer „gelben Kartei“. Jeder Kunde wird in einer gelben Karteikarte geführt.
„Millionen sind über die Straßen getragen worden“. Das soll der heutige Aufsichtsratsvorsitzende Albert S. in einer Mitgliederversammlung 2009 genau so gesagt haben. Nach Recherchen unserer Redaktion soll die Postbaugenossenschaft im Zeitraum 2003 bis 2007 erhebliche Verbindlichkeiten gehabt haben: Gegenüber ihren Mitgliedern als Darlehensgeber waren es 2003 genau 2,7 Millionen Euro, gegenüber Kreditinstituten gleichzeitig fast drei Millionen Euro – zusammen 5,7 Millionen Euro. Als der neue Vorstand 2008 eine Saldenermittlung begann, sollen die Schulden immer noch 4,5 Millionen Euro betragen haben.
Ein Polizeiermittler nannte die gelbe Kartei einmal „Nebenbuchführung“, dazu kommt eine eher seltene Eigenmächtigkeit: Obwohl laut der Satzung der Postgenossenschaft auf jedem Darlehens- oder Genossenschaftsanteilvertrag immer zwei Vorstände unterschreiben müssen, unterzeichnete K. ab einem nicht näher bekannten Zeitpunkt Verträge und Buchhaltungsvorgänge nur noch alleine. Die Unterschrift eines der Vorstandskollegen kopierte er einfach hinein.
K. räumte dies Ermittlern gegenüber und in einem der Zivilverfahren selbst ein. Die zweite Unterschrift zu besorgen, habe sich als „zu umständlich herausgestellt, so dass ich im Einvernehmen und in Kenntnis der betreffenden Personen meine Originalunterschrift neben die zweite einkopierte Unterschrift der Kollegen setzte“. Die Unterschriftenkopie eines mittlerweile verstorbenen Vorstandsmitglieds soll 276 Urkunden zieren. K. sagt gleichwohl, dass die anderen Vorstände und Aufsichtsräte die unübliche Vorgehensweise gekannt und akzeptiert hätten. In Vorstandssitzungen habe man darüber gesprochen.
Nächstes Problem für die verantwortlichen Postgenossen: Darlehensverträge hätten gar nicht geschlossen werden dürfen, mangels Erlaubnis nach dem Kreditwesengesetz. Eine solche zu erhalten, darum hat sich scheinbar kein Verantwortlicher je gekümmert. Die Bundesanstalt für Finanzleistungsaufsicht (BAfin) stellte jedenfalls fest, dass „unerlaubt Bankgeschäfte im Einlagengeschäft durch Mietdarlehen betrieben“ worden seien. Die Postbaugenossenschaft wäre außerdem kapitalertragssteuerpflichtig gewesen. Weil offensichtlich auch Nichtgenossen zeichneten, wäre außerdem gegen die eigene Satzung (§ 2) verstoßen worden.
Ende 2007 waren bilanziell Privatdarlehen von um die 2,3 Millionen Euro vermerkt, die „gelbe Kartenkartei“ meldete aber rund 2,6 Millionen Euro. Es fehlte also rein buchhalterisch ein sechsstelliger Betrag. Die Postbaugenossenschaft hat formell zwar „Anzeige gegen Unbekannt“ gestellt. Dass sie aber in K. den Hauptschuldigen sieht, verdeutlicht eine Forderung an ihn: Die einst „heilige Figur“, wie ihn ein Verantwortlicher nennt, wird heute verteufelt. Laut einem Mahnbescheid an K. vom August 2009 hatte sich die Summe inklusive Neben- und Mahnkosten schon auf 342 539,58 Euro hochgeschraubt.
K. lehnt aber eine Rückzahlung ab. Er fordert seinerseits die Postbaugenossenschaft auf, ihm den „angeblichen Fehlbetrag“ zu erklären. Er stellt fest, für seine „eigenen Belange niemals Geld genommen“ zu haben. Die Ermittler haben gleichwohl bis heute unerklärliche Kontobewegungen und Geldflüsse festgestellt, für die Zeugen K. als den Verantwortlichen nennen.
In der zweiten Jahreshälfte 2008 – K. war nicht mehr Vorstandsvorsitzender – wollte die neue, heute vierköpfige PBG-Spitze Durchblick bekommen. Sie wusste in vielen Fällen nicht, wer wann welchen Betrag eingezahlt oder wieder erhalten hatte. Anleger verfügten über Quittungen, nicht aber die PBG. Mieterdarlehen waren auf Geschäftsanteile übertragen worden. Unklarheiten fanden sie zuhauf.
Die PBG verschickte also Saldenmitteilungen an die Anleger. Ziel war, die Konten abzuklären und die Privatdarlehen zurückzuführen. Die Folge: erneutes Durcheinander. Vor allem, weil die Saldenmitteilung der Postbaugenossenschaft oft nicht mit den ausgereichten Darlehen übereinstimmte. Warum einige Anleger die Saldenmitteilung trotz Widersprüchen unterzeichneten, bleibt rätselhaft.
Viele der verunsicherten Anleger wollten nun aber ihr Geld samt Zinsen zurück. Es kam auch zu Auszahlungen. Auch dabei lief nicht alles rund. Es sollen überhöhte Beträge zurückbezahlt worden sein. Einigen Postgenossen erhielten dabei einzig im Vertrauen auf ihre Angaben trotz fehlender Belege die Darlehenssumme samt Zinsen zurück, andere aber nicht – wie im Fall des Postgenossen, dem man nicht glaubt, dass er die erwähnten 36 500 Euro bar eingezahlt hat. Ein Urteil darüber soll im April gefällt werden. Der Schweinfurter Anwalt dieses Postgenossen fragt, warum bei einzelnen Genossen „allein ein Hinweis, den Betrag nicht erhalten zu haben, zur Auszahlung führte“.
Aus Aussagen anderer Anleger dieser Zeitung gegenüber geht hervor, dass sich offensichtlich kein einziger Anleger dafür interessierte, wofür die Darlehen überhaupt verwendet werden sollten. Einer erklärte vor Gericht einmal, dass er „angenommen“ habe, sie würden für die Modernisierung von Wohnungen verwendet. Ein Insider meint dazu: „Wofür denn sonst?“
Wie locker mit den Bareinzahlungen der Mitglieder umgegangen wurde, berichtete ein anderer Anleger bei einem Zivilverfahren: Er beobachtete, wie an eine in der Geschäftsstelle am Schelmrasen 1 erschienene Anlegerin, die ihr Geld zurück wollte, das gerade von einem anderen Postgenossen eingezahlte Geld einfach „weitergereicht wurde“.
Der Fall der Postbaugenossenschaft Schweinfurt füllt etliche Akten-Ordner. Es wären weit mehr, hätte die Polizei den Tatzeitraum nicht auf die Zeit von April 2004 bis Juli 2008 beschränkt. Seit geraumer Zeit kümmert sich auch die Würzburger Staatsanwaltschaft um die Postbaugenossenschaft Schweinfurt, weil der Hauptvorwurf – die mutmaßlichen Vergehen gegen das Kreditwesengesetz – bei einer Anklage die Wirtschaftsstrafkammern Würzburg beschäftigen wird. In zwei bis drei Monaten seien die Ermittlungen abgeschlossen, heißt es.
Aber auch die Justiz in Schweinfurt hat mit der PBG zu tun: Neben Zivilprozessen am Landgericht sind wegen Anzeigen Strafverfahren nicht ausgeschlossen. Einer Postgenosse schreibt an die Anklagebehörde: „Da ist vieles nicht mit rechten Dingen zugegangen“. Verfahren wegen Steuerhinterziehung gegen die Anleger sind nicht ausgeschlossen. Ermittelt wird auch gegen einige Postgenossen wegen ihrer Handwerkertätigkeit für die Postbaugenossenschaft. Die Frage ist, ob bei den Abrechnungen alles sauber lief.
Ex-Vorstandsvorsitzender K. will sich den Schwarzen Peter als Quasi-Alleinschuldiger nicht in die Schuhe schieben lassen. Einige Postgenossen sehen das ebenso. In einer Information von Postgenossen an die anderen Mitglieder werden jedenfalls auch anderen Verantwortlichen der PBG teils gravierende Vorwürfe gemacht.
K. zu befragen, ist trotz vieler Kontaktversuche nicht gelungen. In einem Schreiben von ihm an Mitglieder und Geschäftspartner teilt er gleichwohl mit, dass die „Verantwortung für die Genossenschaft dem Gesamtvorstand obliegt“. Er hätte zu den gegen ihn gerichteten Vorwürfen auch Stellung bezogen. Das sei ihm aber verwehrt, weil er nach seinem Rücktritt, zu dem er genötigt worden sei, die Geschäftsstelle nicht mehr habe betreten können: Die Schlösser seien ausgetauscht worden. Mittlerweile, behauptet er, seien „Unterlagen verschwunden“, weshalb „es ein Leichtes ist, ihn allein in die Verantwortung zu nehmen“.
Der frühere dritte Vorstand und jetzige Aufsichtsratsvorsitzende (seit Juli 2007) Albert S. (73), der sich als jahrelang Mitverantwortlicher ebenso Ermittlungen ausgesetzt sieht, und die heutige Vorstandsvorsitzende Monika P., die unter K. als Angestellte fungierte, wollten unter Hinweis auf die laufenden Ermittlungen keine Auskünfte geben.