Was ist das? Frank Böhm hält einen Büschel grüner Blätter hoch und schaut in ratlose Gesichter. Es ist die Engelwurz, auch Angelika genannt. Das krampflösende Heilkraut wächst in Schwebheims Apothekergärtchen, wobei Gärtchen nicht wörtlich zu verstehen ist. Auf 110 Hektar Fläche bauen sieben Landwirte 40 verschiedene Kulturen an, und Frank Böhm ist der größte Kräuterbauer unter ihnen. Entsprechend selbstbewusst marschiert er mit der 40-köpfigen Gruppe durch die Felder.
Es ist eine besondere Führung an diesem heißen Spätsommernachmittag. Eingeladen hat Landrat Florian Töpper. Es ist seine dritte Sommertour. Nach dem Steigerwaldzentrum in Handthal und den Weinbergen in Wipfeld in den vergangenen beiden Jahren will der Landkreischef nun das Schwebheimer Kräuterparadies erkunden und mit den Bürgern dabei ins Gespräch kommen. Schwergewichtige Themen werden aber nicht diskutiert, das Augenmerk liegt auf dem Kräuteranbau.
Und das riecht man schon von weitem. Frank Böhm führt die Gruppe zum Thymianfeld. Das beliebte Küchenkraut ist Bestandteil vieler Hustentropfen und Magentees. Seine Heilwirkung beruht im wesentlichen auf den Gehalt an ätherischen Ölen, die schleim- und krampflösend wirken.
Die Schwebheimer Landwirte hatten schon Anfang des 19. Jahrhunderts erkannt, dass der Anbau von Heilkräutern lukrativer ist als der konventionelle Ackerbau. Das gilt heute noch, auch wenn Frank Böhm über Mindestlohn und harte Feldarbeit klagt. Der Kräuteranbau erfordert viel Handarbeit, selbst für den Mindestlohn sei es schwer, genügend osteuropäische Hackerinnen zu finden. In den Familienbetrieben müssen alle anpacken, erklärt Gerlinde Ludwig, die neben dem Kräuteranbau ebenfalls als Gästeführerin Besucher durchs Apothekergärtchen führt.
Die Gruppe ist am Petersilienfeld angekommen. Das wohl bekannteste Küchenkraut hat auch heilende Wirkung. So werden Petersilienpräparate bei Erkrankungen im Bereich des Magens und Darms sowie der Niere angewendet.
Im nächsten Feld wächst Eibisch. Ein Tee aus seinen getrockneten Wurzeln und Blättern wirkt schleim- und hustenlösend. „Eibisch wird kalt angesetzt“, erklärt Böhm, nur zum Trinken wird er erwärmt. Gleich daneben blüht leuchtend gelb der Frauenmantel. Das Kraut hilft – wie der Name sagt – bei Frauenkrankheiten.
„Und was ist das?“ Ein älterer Herr zeigt auf den sattgrünen Kräuteracker dazwischen. „Das ist gar nix“, klärt Böhm auf. Seit 2015 gibt es sogenannte Greening-Auflagen. Das heißt, brachliegende Flächen müssen begrünt werden. Der Fragesteller will es aber genauer wissen, die Pflanze müsse doch einen Namen haben. Böhm ist um keine Antwort verlegen: „Es ist die Grünsamenmischung 783.“
Dass Spezialkulturen in Schwebheim angebaut werden können, ist der klimatischen Lage im Schweinfurter Becken mit einer relativ hohen Jahresmitteltemperatur und geringen Niederschlägen sowie den geologischen Beschaffenheiten des Bodens zu verdanken. Die leichten humosen Sandböden bieten beste Voraussetzungen für den Kräuteranbau. Hinzu kommt, dass durch die Teilung der Felder bei der Vererbung im Lauf der Jahre immer kleinere Parzellen entstanden sind, weshalb sich die Landwirte Wege suchen mussten, auf kleinen Flächen ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften.
Heute ist der Kräuteranbau eine Nische für Spezialisten. In ganz Bayern gibt es nur drei Standorte, sagt Böhm: Schwebheim, Neustadt/Aisch und München.
Immer wieder wird auch mal ein neues Kraut ausprobiert. So wächst heuer im Apothekergärtchen das Pizzagewürz Oregano. Große Nachfrage erhoffen sich die Kräuterbauern in Zukunft von der Kapuzinerkresse. Die beliebte Rankpflanze mit ihren essbaren leuchtend gelben oder roten Blüten wird derzeit erforscht, ob sie krebsheilende Wirkung hat, weiß Böhm.
In voller Blüte muss der Sonnenhut stehen, wenn er geerntet wird. Die aus Blatt und Blüte gewonnenen Arzneimittel stärken das Immunsystem. Gerlinde Ludwig schwört auf den Tee des Sonnenhuts. „Wenn das Schmuddelwetter beginnt, trink ich den vorbeugend.“ Vor der Ernte werden die Äcker von einer Kommission kontrolliert. Kein Unkraut darf zwischen den Pflanzen stehen.
Ihre technische Ausrüstung haben die Schwebheimer Landwirte größtenteils in Eigenbau entwickelt, weil Landmaschinenhersteller für dieses Nischenprodukt keine Geräte produzieren. Vieles wird noch wie früher in Handarbeit gemacht. So trocknen bei Gerlinde Ludwig die Kräuter nach wie vor auf dem Dachboden, auch, um Energie zu sparen.
Um die Bewässerung der Felder zu organisieren, haben die Schwebheimer Kräuterbauern eigens einen Beregnungsverein gegründet, der eine wasserrechtliche Erlaubnis zur Nutzung des vorbeifließenden Unkenbachs hat. Wasser liefern außerdem mehrere Brunnen. „Gegossen wird nur nachts“, informiert Böhm. Warum? Weil in der Sommerhitze tagsüber zu viel Wasser verdampfen würde.
Der Weg führt vorbei an ein Brennnesselfeld. Nach der Atomkatastrophe in Tschernobyl sei die Brennnessel wegen ihrer blutreinigenden Wirkung stark nachgefragt worden, erzählt Böhm. Ihr Anbau ist richtig aufwändig, weil sie nicht gesät, sondern gepflanzt wird.
Endstation der rund zweistündigen Kräuterführung ist an einem Feld, dessen stark duftendes Kraut jeder kennt: die Pfefferminze. Getrocknet brüht man die Blätter auf für Tee, frisch ergeben sie mit Zitrone und Wasser eine leckere Limonade.
Und Böhm gibt der Gruppe noch einen Tipp: die Blätter zerreiben und in die Nasenlöcher stecken. „Das zieht durch, da wird jede Nase frei.“