Vier Generationen lang lebte die jüdische Familie Henle-Lichtenauer in Gerolzhofen. Stadt- und Museumsführerin Evamaria Bräuer zeichnete in einem Vortrag im Alten Rathaus die Geschichte dieser Familie nach.
Auf Anregung von Sabine Wolf, der Vorsitzenden des Historischen Vereins Gerolzhofen, hatte Bräuer ausgiebig recherchiert. Ihr Referat war Teil der Vortragsreihe des Historischen Vereins: „Alte Gerolzhöfer Familien stellen sich vor.“
Um die Geschichte der Familie nachzuzeichnen, sei detektivischer Spürsinn gefragt gewesen, so Bräuer. Dazu gehörten sowohl die Befragung von Schulkollegen einzelner Familienmitglieder und Biografen als auch das Stöbern in den Archiven. Dennoch ließ sich die Familiengeschichte nicht vollständig rekonstruieren.
Ausgangsbasis waren die Daten des Familien-Stammbaums, der vom Archivar Schneeberger von der Lauder-Foundation erarbeitet wurde. Bekannt ist, dass die Lichtenauers aus Brünnau kamen. Dort wurde Salomon um das Jahr 1736 geboren. Sein Enkel Bernhard zog 1898 nach Gerolzhofen.
Lichtenauer hieß die Familie nicht immer. Der 1766 geborene Josef trug, wie bei vielen damals lebenden jüdischen Bürgern, den Vornamen des Vaters als weiteren Namen, also Josef Salomon. Das „Bayerische Judenedikt“ von 1813, welches die rechtlichen Verhältnisse der in Bayern lebenden Juden regelte, schrieb unter anderem das Tragen eines Familiennamens vor.
Im Zuge der Erstellung von sogenannten Matrikellisten für Brünnau 1817 musste die Familie einen neuen Namen wählen. Zunächst versuchte sie sich nach dem Heimatort zu nennen. Der Name „Brünnauer“ sei aber nicht genehmigt worden, da es im Herrschaftsbereich von Würzburg nicht erlaubt wurde, sich nach einem Ort zu benennen. Warum man sich für Lichtenauer entschied, sei unbekannt, so Bräuer.
Da 1871 zur Zeit des Kaiserreichs die Zuzugsbeschränkungen weggefallen waren, konnte Bernhard Lichtenauer 1898 nach Gerolzhofen ziehen. Schon vorher, um 1877 hatte der Landwirt Hirsch Lichtenauer, ein Onkel Bernhards, das Anwesen in der Bahnhofstraße 133 erworben.
Bernhard Lichtenauer heiratete Ernestine. Diese eröffnete 1911 nach dem Tod ihres Mannes das Schuhhaus Ernestine Lichtenauer, das ab 1913 in der Marktstraße 99 firmierte. Evamaria Bräuer zeigte per Beamer eine Werbeanzeige aus einer Ausgabe des Steigerwald-Botens von 1931. Teil des darauf stehend Slogans war: „Schuh' mit langer Lebensdauer, gibt's preiswert nur bei Lichtenauer!“
Die Familie war in Gerolzhofen gut integriert. Dies belegt ein Aufruf in der Zeitung von 1899. Darin forderten namhafte Bürger die Errichtung eines Kriegerdenkmals aufgrund des deutsch-französischen Krieges. Bei den Unterzeichnern fand sich auch der Name Lichtenauer. Er steht auch auf einer Liste der Mitglieder des Steigerwald-Klubs von 1902, so Bräuer.
Tochter Meta, eines der acht Kinder von Bernhard und Ernestine, heiratete 1923 Max Henle, den späteren Inhaber des Schuhgeschäftes. Er war Schüler der königlichen Industrieschule zu Nürnberg gewesen, der heutigen Georg-Simon-Ohm-Hochschule.
Bräuer zeigte ein Foto der dritten Klasse der Knaben der Gerolzhöfer Volksschule von 1925. Das Bild eines Klassenausflugs mit Lehrer Robert Schmitt hat sich im Album eines Mitschülers erhalten. Darauf war Paul Henle, das einzige Kind des Ehepaares, zu sehen.
Anschließend ging Bräuer auf die NS-Zeit in Gerolzhofen ein. Anhand von Plakaten mit antisemitischen Äußerungen, Fotos von SA-Schlägertrupps oder einem Foto eines im Zuge der Pogromnacht am 9. November 1938 zerstörten Geschäftes vermittelte sie einen Eindruck von den Schikanen der NS-Diktatur. Außerdem las sie Passagen der Biografie „Schwere Zeiten heiter beschrieben“ des gebürtigen Gerolzhöfers Robert Maria Schmitt vor. Er schildert als Augenzeuge seine Eindrücke des Pogroms 1938 und der Deportation der jüdischen Bürger.
Max Henle, Ehefrau Meta sowie Sohn Paul wurden 1941 in der Salzstraße 12 zwangseinquartiert. Im April 1942 wurden sie nach Izbica deportiert und im Raum Lublin ermordet. 2011 hat man beim Gedenkzug in Würzburg an sie erinnert.
Bräuer beschrieb, dass Zweige der Familie nach Israel und Südamerika fliehen konnten. 2013 hatte sie Kontakt zu Mauricio Lichtenauer. Der Enkel von Moritz Lichtenauer, Meta Henles älterem Bruder, besuchte im Januar mit Ehefrau und Kindern Gerolzhofen. Gemeinsam besuchten sie die Wohn- und Grabstätten der Vorfahren.